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J 27
y-
Dadifches Sagenbuch.
von
Auguft Schnezler.
Badiſches
Sagen-Buch.
Eine Sammlung der ſchoͤnſten Sagen, Geſchichten, Maͤrchen und Legenden des Vadiſchen Landes
aus Schrifturkunden, dem Munde des Volkes und der Dichter.
Herausgegeben
Auguſt Schnezler.
> [4 *
Zweite Abtheilung: Von der Ortenau bis zum Mainthal.
Karlsruhe.
VDruck und Verlag von Creuzbauer und Hasper. 1846.
Das Nheinthal.
Strom der Heimath, mir ſo lieb! haſt Jahrtauſende geſehen, Die nicht auf den Tafeln ſtehen, welche die Geſchichte ſchrieb.
Doch verzeichnet ſind ſie dort in den wild gethürmten Schichten; Was die Berge uns berichten, ift ein unvergänglich Wort.
Eine neue Sonne fcheint, feit Die treuen Heliaden An den öden Schilfgeftaden um des Bruders Tod geweint.
Haben nicht den Dattelwein fromme Völker hier getrunfen ? Doc die Palmen find verfunfen und ihr Marf gefror zu Stein;
Und des Delbaumd heilig Laub, das des Markwalds Höhen ſchmückte,
Das der Schlangentödter pflückte, wurde des Gewäſſers Raub.
Ja, ein Eden hat geblüht in des Rheines mildem Thale,
An des Himmels erſtem Strahle, eh' der Kaiſerſtuhl geglüht;
Eh' noch Jovis Sternenring ſich zum feſten Kern verdichtet, Eh’ ein Gott die Welt gerichtet, und die Nacht den Styr umfing.
Ach, in dunklen Sagen nur hat fich jene Zeit erhalten, Und des Nordes Stürme walten auf der Paradieſes⸗Flur.
Das dämoniſche Gefchlecht, deſſen Hüften wir entiprungen, Spie zum Himmel Läfterungen, trotzend auf ein Götterrecht.
„Menſchen, unfre Kinder, ihr mögt die Erde von ung erben,
jenes beffre Reich erwerben über Sternen wollen wir.”
Und fie klimmen keck hinan zu dem hohen Wolfenfige, Und fie achten nicht ber Blitze auf des Kampfes luft'ger Baba. I. 1
Aber plöglich braußt das Meer, Feuerbaͤche gießen nieder, Ueber der Titanen Glieder wälzen ſich die Berge ber.
Eine Wüfte fleigt empor: Lavafelſen aus den Gluthen, Knochenberge aus den Fluthen — Sinnend fleht der Menſch 2 davor ;
Wohl, die Tobten ſchweigen nicht, reden müſſen, die verweſen, In der Aſche kann er leſen, in den Gräbern brennt ein Licht.
Dald auch regen ihm die Hand Kräfte feiner Riefen-Ahnen, Stimmen bört er, die ihn mahnen an fein altes Vaterland.
Und zum Kampfe faßt er Muth, zwingt die Erde, ihm zu die⸗ nen, Weiß die Gottheit zu verfühnen, muß es feyn, mit eignem Blut.
Und des Rheines öder Grund wandelt fih zum Blumengarten, And die Hände, die ihn warten, fchlingen ſich zum Freiheits- bund;
Städte fpiegeln Tih im Strom, Schönheit waltet in dem Leben, In die Wolfen hoch erheben muß fih Erwins ſtolzer Dom.
Und in Ton und Farb’ erblüht, was fein ird'ſcher Sinn ver⸗ nommen, Was von Oben nur gefommen in das Tiebende Gemüth. —
Schönes Thal am blauen Rheine , mit verfunfnen Helden⸗ malen !
Herrlich wird dein Name ſtrahlen bis zum legten Sternenfdein.
Deiner Söhne heil’ge Scham) nimmer wird fie Niedres dulden, Was die Zeiten auch verfchulden:, löſt fie. fromm am Blutaltar. Aloys Schreiber.
( In Bezug auf vorſtehendes Gedicht, welches uns wieder in das lachende Rhein⸗ thal einführt, vergleiche die zweite Note zu Joſ. Baders Einleitung
im iten Bande.) 474 X u. 8
+30 3
)
j Örtenen. »
295»
Kippenheim.
Die erlöfte Schlange.
Einer hochſchwangeren Frau von Kippenhbeim, bie Mittags in den bortigen Weinbergen fchlief, kroch eine Schlange in ben offenen Mund. Ihr Töchterlein, welches neben ihr faß und dies bemerfte, wollte die Schlange noch am Schwanze paden und zurüdsiehen; es war aber zu fpät, fie fchlüpfte ber Frau ganz die Kehle hinunter in den Leib, wo fie fih ruhig verhielt und der Schwangeren feine weitere Beſchwerde verurfacte. Als aber die Frau bald darauf eines Kindleins genaß, hatte fich ihm Die Schlange fo feſt um den Hals gewidelt, daß man fie nur durch ein Milchbad davon losbrachte. Ste wich aber nicht - von bed Kindes Seite, Tag ftets bei demfelben im Bett und fraß aus feiner Schüffel. Weil fie dem Rinde dabei nichts zu leide that und von ihm fehr geliebt wurde, Tiefen die Eltern beide ungeftört beiſammen. Sechs Jahre waren fo verfloffen, als einft die Schlange die allzugroßen Brobflüde in einer Milchſuppe nicht freffen wollte und dadurch Das Kind fo böfe machte, daß es ihr den Löffel auf den Kopf ſchlug mit den Worten: „Friß auch Moden, (Broden) nicht lauter Schlappes!” (Brühe) Bon Diefem Augenblid an wurde die Schlange ganz traurig und ver- ſchwand nad einiger Zeit ganz aus dem Haufe. Man fuchte fie überall von Dach bis zu Keller, endlich in dem großen Stein= haufen, der feit dem Schwedenfrieg unerforfcht im Hofe gelegen.
*) Unter diefem Namen, ben im Mittelalter ein großer Gau trug, welcher das Land zwi⸗ ſchen ver Waflerfheide des Schwarzwaldes im Dften, der Bleich im Süden, dem Rheine im Welten und dem Dosbade mit ver Murg im Norben, alfo Beinahe das ganze Mit- tefftüd des jetzigen Badens umfaßte, begreift man jest im Munde des Volkes nur nod) etwa die Gegenden von unterhalb ber Blei an, von Offenburg mit einer Heinen Strede das Kinzigthal aufwärts, dann die Strede des Rheinthals über Appenweiber und Ren- hen bis gegen Bühl hinunter.
1*
A Drtenau — Rheinthal.
Darin fand man unten einen Keffel voll Goldſtücke und daneben die Schlange todt Tiegen. Auf einmal war fie weg und an ihrer Stelle ſtand ein fehneeweißer Mann und ſprach: „Sch war bie Schlange, und das Kind zu meiner Exrlöfung beflimmt; nun habt ihr das Geld und feyd reich, ich aber gehe ein in die ewige Freude.“ — Nach diefen Worten war er verſchwunden.
(Rab mündlicher Ueberlieferung — v. Bernhard Baader i in Mone's Anzeiger für teutſche Vorzeit. Jahrg. 1839.)
St. Landolins Bad.
Aus Schottland kam der Miſſionair Landolin in dieſe Gegend. Damals ſtanden blos einige Hütten daſelbſt und in einer derfelben wohnte ein redlicher Dann, Edulf genannt, mit Weib und Kindern. Der gab dem Pilgrim ein Obdach, bis er ausgeraftet hatte. Nachdem Landolin ihm dafür mit Er- theilung feines Segen gedankt, zog er weiter hinauf und fuchte ein abgelegenes Pläschen zu feiner Niederlaffung. Ein ſolches fand er in dem friedlichen Waldthale, mo der Lautenbach und bie Unditz fich vereinigen und baute ſich daſelbſt eine Klaufe. Selbſt das Wild des umliegenden Forſtes ſchien von der Sanft- muth und Srömmigfeit des Einſiedlers bezaubert, Fam oft ver- traulich aus feiner Hand zu effen, und rettete ſich in feine Hütte, als in die ficherfte Freiftätte vor den Verfolgungen der Jäger. In geringer Entfernung von der Stelle, wo Landolin wohnte, hatte fi ein Häuptling der Gegend, Namens Gifof, auf den Trümmern eines Römerfaftelld eine Burg erbaut, deren Reſte noch heutzutage Die Gifenburg heißen. *) Ein Jäger Giſoks traf den frommen Mann, ale er eben ein Flekchen Feld bei feiner Klaufe urbar machte und erfchlug ihn, theils aus Grimm, dag fo vieles Wild ſich in defien Freiftätte flüchtete, theils bloß. von roher Mordluft getrieben. Da entfprangen aus dem Boden, ben das Blut des Märtyrers überftrömt hatte, fünf Heilquellen, bie jegt St. Tandolins Bad heißen und noch häufig befucht werden. Edulf und die Seinigen ahnten nichts Gutes, als fie fo lange Zeit ſhren alten Gaſt nicht mehr im Thale ſahen. Sie
*) Im achten Jahrhundert wurde fie zerſtört und die Steine ſpäter zum Bau des Kloſters
Ettenheimmünſter verwendet; den Platz, wo das Schloß ſtand, deckt nun Wald, man nennt aber die Stätte noch jetzt Heibenfelter,
Ortenau. — Rheinthal. 5
gingen aus, ihn aufzuſuchen und fanden ſeinen blutigen Leich⸗ nam, den fie unter heißen Thraͤnen und unter Verwünſchungen bes Mörders begruben, Auf biefer Stelle bauten ſich nachher Mönche ein Klofter und der Ort erhielt den Ramen Mönchs⸗ zell. -
Das Erucifix von Bittenweier.
Nachdem die Bewohner des Dorfes Wittenmeier zum us therthum übergetreten waren, fchafften fie von ihrem Kirchhofe das fteinerne Erucifte weg, fanden es jedoch am nächſten Mor⸗ gen wieder am felben Plage aufgerichtet. Noch zweimal thaten fie e8 hinweg, allein es fehrte jedesmal in der Nacht dahin zu= rüd, während die Wachen, die man auf dem Gottedader aufge: ftellt hatte, in unbezwingbarem Schlafe lagen. Hierauf warfen die MWittenweterer dag Kreuz in dem Nhein, und aus dem fam ed nie wieder heraus. Seitdem aber riß der Rhein, der vors ber bort ganz frieblich floß, das dießſeitige Ufer ſtückweiſe weg, j0 dag Wittenweier fchon. dreimal mußte zurüdgebaut werben. *)
( S. Mone's Anzeiger für Runde ber teutiden Vorzeit. Jahrg. 1839.)
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Lahrs Urfprung.
ihren Namen foll die Stadt von den Gewerben haben, die auch jegt noch in ihr blühen: von den Tohgerbern. Man nannte nemlich den Ort Anfangs „In der Loh“ wegen den Lohmühlen und Gerbehäufern an der Schutter, aus welchen wahrfcheinlih nach und nad ſich eine Dorfgemeinde bildete, woraus zuerft der Flecken Lohr und fpäter das Städtchen Lahr entftand. Die Grafen von Gerolpged erbauten fi bier ein Schloß und eine Linie nannte fih von Geroldsed-tahr. Ein Unglüd war e8 für die Stadt, daß biefe Grafen ausftarben und die Herrfchaft unter weit entfernte Gebieter Fam: die Gra- fen von Mörs und fpäter an die von Naffau. Im dreißigiäh- rigen, ferner im franzöfifchen Raubmordfriege unter Ludwig XIV.,
*) Diefe und ähnliche Sagen gehen auf die Bilderſtürmerei des 16. Jahrhunderte zurück.
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6 Ortenau.
litt auch Lahr ſehr viel und brannte im Jahr 1677 ganz ab. Es lebten damals zweiunddreißig adelige Familien dort, die ſich von dieſer Zeit an alle hinwegzogen. Später, unter Naſſauiſcher Herrſchaft in den glüdlichen Zeiten des Friedens, fing die Stabt wieder an aufzublühen und der Haupt-Marktplatz für das Schutterthal und das Ried zu werden. Gerberei, Weberei, Garn» und Leinwandhandel, Krämerei aller Art bildeten die vorberrfchendfien Gewerbe. Die Leute vom Land fanden hier ihre Bedürfniffe und eine Menge Kleiner Krämer ihren Unter- halt. Und Klein auf Klein Baut fein Neft das Vögelein.
Aus den Krämern wurden endlich wohlhabende, ja reiche Kaufleute und Fabrikbefiter In der Zeit des franzöflfchen Re⸗ volutionskrieges, in den neunziger Jahren, wo ber Rhein und Straßburg gefperrt waren, zogen die betriebfamen Lahrer ben Speditionshandel von Straßburg und Kehl größtentheils in ihre Stadt. Seitdem blieb ihr For immer in fleigender Zunahme und jest ift fie nach Mannheim die bedeutendfte Handelsſtadt
d es Großherzogthums D. 8%.
Urſprung von Hohengeroldseck.
Links ab von der ſchönen Straße, welche von Lahr in das Kinzigthal führt, nicht weit von Biberach, liegen auf einer Anhöhe die Trümmer des einſt für unüberwindlich gehaltenen Schloſſes Hohengeroldseck. An Alter und Wechfel der Schick— ſale übertrifft vielleicht kein edles Haus auf dem weiten Gebirge den Stamm ber Geroldsecker, und in Zeiten, in welchen wir ge⸗ wohnt find, unfre Sagenfreife zu finden, Iebte bier ſchon eine ältere Sagenwelt. in dem Munde der Edeln. Als Pipin der Kurze — fo erzählen fie — der König der mächtigen Franken, an’ feine Mannen aufbor, um jenfeits der Alpen bie ftolzen Longobarden und ihren König Aftolf zu bändigen, folgte ihm ah Marfiliug, ein Herzog vom Schwabenlande. Seine treuen Dienfte machten ihn bald zum Liebling des Frankenkönigs, und ale ihm Regarda, bie Tochter Hildebrands von Andechs,
Ortenau. 7
des Grafen über Bayern, einen Sohn gebar, gab er ihm, nach einer Straße in Rom, den Namen Gerol dsect. („De platea in Roma Geroltzeck, ibi dicta stirps est progressa;“ dies foll die Umfchrift eines alten Steines in der Empfinger Kirche ge- weſen feyn.) Diefer Gerold war folglich der Bruder der Hildegarde, der Gemahlin Karls des Großen. Ihm über- trug deßwegen biefer Kaiſer bie herzogliche Würde in Bayern, das Markgrafenthum in Oeſterreich und die Grafichaft in der Reichenau. Dem Heerbann leiftete Gerold jederzeit treufich Folge; in den Sadıfenfriegen erfchlug er mit eigener Hand den weitgefürdhteten Wittefind und gegen die Allesverheerenden Hunnen ſchützte ein herrlicher Sieg feine Markgrafſchaft. Allein er verfolgte den Feind mit allzugroßem Eifer; die Heiden wandten ſich plöglich gegen ihn, denn er war nur noch von weniger Mannjchaft begleitet, und erfchlugen den Tapferen. Seine Reihe wurde nad der Reichenau geführt und im Chor des Münfters auf der rechten Seite des Hochaltares begraben. Der Märtyrertag Gerolds ift der zweite Detober bes Jahres 799. *)
*) An diefen Gerold, als Erbauer von Geroldsed, foll die Inſchrift eined Steines erinnern, der zu Enve des vorigen Jahrhunderts aus den Trümmern der Burg hervorgezogen worden iſt:
„Hohen Geroldseck mich bawen ließ Herr Gerold mit Namen hieß
Dem großen Karlo werdt
In viel Ritterlichen Thaten bewerdt Ward Markgroff in Oeſtereich
In Schwoben Herzog zugleich ꝛc. ꝛc.
Das Haus Geroldseck beſaß eine Menge Herrſchaften und Lehen: die Burgen Schenfenzell, Romberg , die Städte Mahlberg und Lahr, im Elzthale die Schwarzenburg; in den benachbarten Thälern des Kin— zigthals die einft blühende Münzftätte Prinzbach, Selbad mit ergie- bigen Silberiverfen, und auf ver Höhe dem Schimberg gegenüber die Burg Lützelhardt. (S. für Iehtere die folgende Sage.) Prinzbach ifl jeßt nur noch ein Weiler; der Berfall des einft reichen Städtichens wird in das elfte Jahrhundert hinaufverlegt und den Kreiburgern zugefchrieben, welche am Charfreitage (1001) heimlich die Mauern erftiegen und vie Wohnungen ausplünderten. Münzen und Mauertrümmer,, die man am Drte findet, weifen indeffen auf eine römiſche Pflanzſtadt hin, die bort gelegen haben mag. "
(S. Mar von Rings „Malerifche Anfichten ver Ritterburgen Teutſchlands. Seftion Baden, 1te8 Heft der 2ten Abtheilung.)
8 Ortenau.
° Walther von Geroldsee, ”
Mitter Diebolt, genannt Geroldseck, weil er das Schloß diefes Namens bewohnte, ftammte aus einer Nebenlinie des Geroldsedifhen Haufes ab. Er war ein böfer, neidiſcher und rachgieriger Mann, der aber feine Tüde gar meifterlich zu verbergen wußte. Drei Sabre lang trug er einen heimlichen Groll gegen Ritter Walthern, den Burgherrn zu Öohen- geroldged, im Herzen, weil biefer ihn bei einem Schimpf- fpiel vom Roffe geworfen, und bald darnach, als Schiedemann feines Widerparts, in einer ungerechten Sache gegen ihn ge= ſprochen hatte.
Eines Tages ging Herr Walther ganz allein, blos von feinem Hunde begleitet, auf die Jagd. Er durchſtrich die Wal- dungen, die fi, von dem Fuße feiner Burg an, Meilen weit durch das Thal erfiresften, und gedachte nun, da er furz zuvor das Lager einer trächtigen Hindin ausgefpürt hatte, feinen Junkern mit einem kleinen Reh eine Kurzmeil zu machen. Diebolt hatte einen Buben, der ein gar fehlauer Wicht war, und viele Zage lang, ale ein Betteljunge verkleidet, um dag Schloß Geroldseck herſtrich, damit er den Augenblid, da Walther allein ausgehen ober ausreiten würde, ablaufen und feinen Herren davon benachrichtigen könne. Dieſes war in langer Zeit nicht gefchehen, und als ihm der Bube die Botfchaft brachte, freute er fich fo fehr darüber, daß er ihm einen Goldgulden fihenfte. Hierauf nahm er vier handfefle Männer von feinen Leuten zu fih, mit denen er in den Forft eilte, wo er Wal- thern zu finden hoffte. Er und feine Gefährten waren vers mummt, und er hatte ihnen den firengften Befehl gegeben, fein Wort zu fprechen. Mehr als eine Stunde lang durchſtreiften fie das Dieficht, ohne den Ritter anzutreffen; endlich fanden fie ihn am Fuße einer Eiche ſitzend, wo er einen Kuchen verzehrte, den feine Gemahlin, Frau Hedwig, des Abends zuvor geba= den und ihm in feine Jagdtaſche geftect Hatte. Als der Hund in dem Gebüſch ein Geraͤuſch vernahm, fprang er auf und fing
*) ©. Bernhard Herzogs Elfäßer⸗Chronik. Straßb. 1592. 5tes Buch. S. 120 ff.
Ortenau. 9
an zu bellen; einer von den Knechten aber ſchoß ihm einen Bolzen ins Herz, daß er tobt zu Boden ſtürzte. Alsdann fielen fie alle über Walthern ber, warfen ihn nieder, bevor er fein Waidmeſſer ziehen fonnte, und banden ihm die Hände. auf den Rüden, nachdem fie ihm das Wamms vom Leibe geiiffen hatten. Hierauf ftedten fie ihm einen Knebel in den Mund, verbanden ihm die Augen, und führten ihn mit fi fort. Einer von den Knechten befprengte das Wamms mit dem Blute des Hundes, und ließ ed am Fuße ded Baumes liegen. In diefem Zuftande fohleppten die Räuber ihren Gefangenen etliche Tage lang um- her, Nachts in verborgene Herden und Felfen ihn verftedend, wo fie ihm Speife und Tranf reichten, und fodann wies der mit ihm fortzogen, fo daß der Ritter wähnte, daß er in ein fremdes Land hinweggeführt würde. In der vierten Nacht brachten fie ihn auf das Schloß Lützelhardt, warfen ihm einen ſchmutzigen Kittel um, und legten ihn, mit Ketten bes fhwert, in einen finftern Thurm. Frau Hedwig erwartete ihren Herrn vergebens mit dem Mittagsmahle, und als er auch die Nacht über wegblieb, fandte fie des folgenden Morgens alle ihre Knechte aus, um ihn zu ſuchen. Diefe fanden feinen Hund und das blutige Wamms nebſt dem Waidmeſſer unter der Eiche, und dachten nicht anderd als, ihr Herr fei von Moͤrdern' er- ſchlagen und eingefcharrt worden. Vergebens ſuchten fie fein Grab oder feinen Leichnam, und famen des Abends mit dem Gewehr und dem Kleide traurig nad Hohengeroldseck zu- rüd. Ad Frau Hedwig die grauenvolle Nachricht vernahm und das blutige Wamms erblickte, das einer von den Knechten unter feinem Kittel hervorzog, ſank fie ohnmächtig nieber und mußte zu Bette getragen werben, Drei Wochen fonnte fie das lager nicht verlaffen, und Jedem, der ihren Sammer mit anfah, brach faft das Herz. Ritter Walther war ein eben fo guter Herr, ald er ein guter Gemahl und Vater war; er wurde von Alt und“ Jung beweint, und mehrere von feinen Bauern machten ſich freiwillig auf, um Kundſchaft über ihn einzuziehen; fie famen aber Alle unverrichteter Sache wieder zurüd, und niemand zwei⸗ felte mehr an feinem Tode.
Unterbeffen lag Herr Walther immer in feinem Gefäng- niffe anf der Burg Lützelhardt, ohne daß er wußte, wo er
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war. Der Thurmwart brachte ihm täglich zu effen und einen Krug Waffer; wenn er aber von ihm angerebet wurde, fo gab er dem Gefangenen feine Antwort: — Wißt Ihr, wen Ihr fo graufambehandelt? — fragteeinft Walther voll Berzweiflung. — Sch will es nicht wiffen, — erwieberte der Dann, — und habe Bes fehl, Euch zu tödten, fobald Ihr Euren Namen ausfprecht. — Der Nitter glaubte nicht anders, als daß er von fremden Räubern, die ein ſchweres Löfegeld für ihn verlangten, in ein fremdes Land geführt worden, und wunderte fi oft, wie feine gute Gemahlin und feine Freunde ihn fo gar verlaflen konnten. Zwei Jahre ſchmachtete er in dieſem Kerfer, ohne ein einziges _ Mal die Sonne zu fehen, oder die freie Luft zu athmen. Nur wurde bisweilen in der Höhe ein Loch geöffnet, um den fau⸗ len Dünften einen Ausgang zu verfchaffen, da dann einige Lichtſtrahlen in dieſe Wohnung des Grauens herabglitten. Bei diefer Gelegenheit vernahm einft der Gefangene den lauten Schall eines Hornes, der ihn aufmerffam machte. Es dünkte ihm, diefe Muſik ſchon irgendwo gehört zu haben; er wußte fi) aber des Ortes nicht zu erinnern. Einige Zeit hernad), als es wieder, und zwar in dem Augenblick erſcholl, da ein anderer Wächter, der ihn erft feit drei Monden bediente, ihm zu eſſen brachte, erfühnte fh Walther, ihn zu fragen, wo boch Diefes große Horn geblafen würde? Der Knecht gab ihm zwar feine beftimmte Antwort; dennoch aber glaubte Walther, aus einigen Reden bie jener fallen ließ, und aus verfchiedenen Eleinen Umftänden, die er damit verglich, den Ort feiner Gefangen- haft errathen zu haben. An einem andern Tage fragte Walther diefen Knecht nad, feinem Namen und nad) feinem Baterlande. Er mußte diefe Fragen mehrmals und auf vers ſchiedene Weife wiederholen, eh’ er ihm die Antwort ablodte, daß er aus tem Lützelthal, Geroldsedifcher Herrfchaft, ges bürtig fey, und daß fein Gefchlecht den Namen Rublin führe. Nun zweifelte Walther nicht mehr, daß er auf der Burg Tür tzel hardt gefangen läge, und entdeckte zugleich in dieſem Ru b⸗ Yin einen feiner leibeigenen Dienſtleute. Er trug daher Fein weiteres Bedenken, fih ihm zu erfennen zu geben, und that es mit der rührenden Würde der bebrängten Unſchuld. Er befchwur ihn bei Eid und Pflicht und unter den vortheilbafteften
Drtenaum 11
VBerheißungen, das Werkzeug feiner Befreiung zu feyn. Rube Lin hatte feinen Gefangenen nicht gekannt, und von feinem Herrn, als er ihm die Stelle des verflorbenen Thurmhüters übertrug, das Verbot erhalten, fich bei Lebensftrafe in fein Ge⸗ fpräch mit ihm einzulaffen. Als er nun vernahm, daß er, ohne es zu wiſſen, der Kerfermeifter feines Herrn geweſen, fiel er ihm zu Füffen, bat ihn um Vergebung, und verfprach, ihm herauszu- helfen. Wäret Ihr, ſprach er — nicht mein natürlicher Herr, fo würde fein Geld noch Gut mich bewegen, Euch zu Willen zu leben. — Nun erwartete Walther mit Ungebuld den Tag feiner Erlöfung, der nicht lange mehr ausblieb.
An dem hi. Pfingftfefte, da Ritter Dieboft abmwefend und der größte Theil der Burgleute nah Selbad in die Kirche gegangen war, fam Rubin in das Gefängniß, nahm Wal⸗ thern feine Ketten ab, und entfchlüpfte mit ihm in einen ent- fegenen Winkel des Zwingers. Hier klommen fie auf die Mauer, woran er ein ftarfed Hafengarn befeftigte, das die Stelle einer Strickleiter vertrat, an welcher Beide ſich glücklich hinunter ließen,
Walther war einem Tobtengerippe ähnlich; feine Beine fonnten ihn kaum tragen und hatten faft das Gehen verlernt. Dies ſes bewog feinen Retter, den gebahnten Weg zu verlaffen, wo man fie wegen ber Langſamkeit ihres Zuges leicht hätte einholen fönnen, und fich feitwärts in eben die Waldungen zu fchlagen, Durch welche der Ritter einft fo Tange herumgefchleppt wurde. Sie wanden fich Durd die wildeſten Heden und durch das un- wesfamfte Dickicht, und erquicten fi von Zeit zu Zeit mit dem Wein und den Speijen, die Rublin mit fih genommen hatte. Endlich erreichten fie um Mitternacht das Burgthor von Ho—⸗ hbengeroldsed. Walther hatte vier zum Theil erwachlene Söhne zurüdgelaffen ; diefen wollte er fich zuerſt entdeden, um zu verhüten, daß fein plößliches Erfeheinen und feine armfelige Geftalt feiner Gemahlin einen Schreden verurfade. Als ihn daher der Thorwart nach feinem Namen fragte, gebot er ihm, den vier Zunfern zu fagen, fie möchten herunter fommen, indem fie ein Fremder einer wichtigen Runde wegen insgeheim fprechen wolle. Nach einigen Minuten erfchienen die vier Jünglinge, mit Dolchen bewaffnet, vor der Pforte, und fragten den Frem⸗
12 Ortenau.
ling, wer er waͤre? — Euer Vater! — ſchluchzte Walther, indem er ſeinem Erſtgebornen in die Arme ſtürzte. Die Jünglinge um⸗ ringten ihn und einer von ihnen hielt ihm ein Licht vor das Geſicht; keiner aber konnte ſeinen Vater erkennen, da ihn der feuchte Kerler und die kümmerliche Nahrung gänzlich entſtellt hatten. — Ihr ſeyd ein Betrüger! — riefen ſie — unſer Vater iſt ſchon zwei Jahre todt; er wurde im Forſt auf der Jagd erſchlagen. — Ihr wollt mid) nicht erfennen, — ſprach Walther weinend, — freilich hat man Euch betrogen. Allein der Betrüger war Der, welcher bie Nachricht von meinem Tode ausfprengte. Diebolt von Lützelhardt wares, der mich zwei Jahre Yang in der härteften Gefangenschaft hielt. — DO, nun fehen wir’s, — riefen Die Söhne, — dag Ihr ein Betrüger feyd! Nitter Diebolt iſt felbft mit jeinen Knechten ausgezogen, um die Mörder unfers Vaters auf- zufuchen, und hat bei unferer Mutter über deffen Tod Thränen vergofien. — Diefer Zug, — rief Walther, — fehlte noch, um ihn zum Zeufel zu machen. Nun fo holet mir Eure Mutter, diefe wird mich nicht verfennen! — Die vier Brüder verfündigten ihrer Mut⸗ ter, die unruhig ihre Rückkunft erwartete, daß ein Mann, der ſich fälſchlich für ihren Vater ausgebe, fie zu fprechen verlange. Frau Hedwig befann fi einige Augenblide; dann dachte fie bei fich ſelbſt: vielleicht Haben meine Kinder den Fremden miß- verfianden, und er hat ihnen von dem Tode meines Gemahle, oder von den Urhebern deffelben, Kundſchaft zu geben. — Sie ftieg baher hinunter an die Pforte und hieß ihre Söhne im Hof fie erwarten. — Wo ift der fremde Mann? rieffie beim Deraustreten. — Hier ift er, dein Gemahl, dein Walther! Meine Söhne haben mich verfannt; wird auch mein Weib mich verfennen? — Eure Züge, — ſprach Hebwig, — find nicht Walthers Züge; aber Eure Stimme, wiewohl fie fhwac und heifer tönet, hat Aehnlichkeit mit der feinigen. — Dein Ohr, dein Auge, — verſetzte Walther, — mag dich täufchenz; aber dein Herz, Das Herz meiner Hebwig wird mich nicht verläugnen! Gewiß hat es jenen Abend nicht vergeffen, da fie mir zum erſtenmal ihre feufchen Arme öffnete; da ich ihr den Halsfoller löſte, und bie Erdbeere, die ich auf ihrer Bruft entdedte ..... Bevor er ausreben fonnte, hing fhon Hedwig an feinem Halfe und überftrömte feine bleichen Wangen mit ihren Thränen: Du bift ed, ja du bift mein Ge⸗
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Ortenau. 13
mahl! — rief fie mit gebrochenen Worten, — Gott hat dich mir wies der gegeben! — Walther drüdte fie mit zttternden Armen an fein Herz und theilte dann feiner Gattin noch verfihiedene geheime Wahrzeichen mit, welche alle ihre Zweifel gehoben hätten, wenn ihr noch einer übrig geblieben wäre.
Nun rief Hedwig ihre Söhne herbei: Umarmt Euern Bater! Er iftes, ich ſchwoͤr' es Euch bei meinem Mutterherzen! — Die Söhne warfen fi ihrem Bater zu Füßen, und baten ihn wn Verzeihung. Walther bob einen nach dem andern von ber Erde, umfchlang ihn mit feinen Armen und drüdte feine Lippen auf deſſen Mund. Dann führte Hedwig ihren Gemahl, von fei- nen Söhnen umgeben, in die Burg, wo er ihnen die Verrätherei feines Betters Diebolt und feine Befreiung durch den getreuen Rublin erzählte. Des folgenden Morgens war großer Jubel im Schloffe: das geſammte Hofgefinde drängte ſich herbei, um feinen guten Herrn zu bewillfommen. Walther reichte ihnen feine abgezehrte Hand, an der noch die Malzeichen der Feſſeln zu fehben waren. Alle Füßten und nebten fie mit ihren Thränen. Nach etlihen Tagen fehrieben die Söhne einen Brief an alfe Berwandte, Freunde und Lehensleute ihres Vaters, und Hagten ihnen, wie ehrlos Diebolt von Lützelhardt an ihm gehandelt, wie er ihn heimlich entführt und in einen fchredlichen Kerfer geworfen habe, um ihn darin verfchmacdhten zu Taffen. Sie forderten alle diefe Männer im Namen der Ehre und der Freundfchaft auf, mit ihnen auszuziehen, um diefe Unbilde zu rächen. “Die nächſte Woche darauf erfchienen die Freunde bes Herrn von Geroldseck mit 200 Reifigen auf feiner Burg und rüdten gegen dag Schloß Lügelhardt, das fie zehn Tage lang be⸗ lagerten. Diebolt wehrte ſich anfänglich mit dem Muthe der Verzweiflung ; ald aber bie lebensmittel ausgingen und er feine Leute, anftatt Viebreich fie zu tröften, täglich graufamer behan- belte, fo wollten fie ihn zwingen, die Veſte zu übergeben. Da entfloh der Ritter des Nachts durch einen unterirdifchen Gang, ‚ und Niemand wußte, wo er bingefommen war. Das Schloß aber ergab fi am folgenden Morgen, und wurde gänzlich zer- ftört, wie man folches noch an dem Burgftall fieht.
Der bievere Rublin wurde von Ritter Walther mit feinem ganzen Gefchlechte von der Leibeigenfchaft Yosgefprochen, und
14 Drtenam.
mit fchönen Gütern und flattlihen Freiheiten begabet, die er
auf feine fpäteflen Enkel vererbt hat. G. ©. Pfeffer. (S. deffen „Proſaiſche Verſuche.“ V. Th. Tübingen 1811.)
Klofter Schuttern.
"Un der Schutter, zwifchen Offenburg und Lahr, Tiegt das ehemalige BenebiktinersKiofter Schuttern. Nach der Sage fol baffelbe feinen Urfprung einem ehemaligen englifchen König, Dffo, verdanken. Es ift wahr, daß das Klofter Schuttern in ' alter Zeit den Namen Offenzell führte, und daß die Stabt Dffenburg, welche den nämlichen englifchen König zu ihrem Gründer haben foll, ehemals einen Engel auf ihre Münzen prägte; was, wie die Engel auf den Zinntellern, wohl etwas Engliiches bedeuten Tann, aber nicht immer wirklich bedeutet. Es ift ferner wahr, daß es einen König Offa von Mercien in England gegeben hat, welder Thron und Gemahlin verließ, nah Rom pilgerte und dann irgendwo ein Mönd wurde; aber das gefhah im Jahr 707, und das Klofter Offenzell ift fhon wenigftens hundert Jahre vorher geftanden. Der Grüns ber von Offenzell, wie von Offenburg, feheint ein Adeliger der
Gegend, mit Namen Dffo, gewefen zu feyn. 3. 8. B.
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Offenburgs Arſprung.
Dffenburg foll von Dffo,*) einem Britanifhen Fürften- fohne, um's Jahr Chrifti 600 gegründet worden feyn. Er befehrte in diefen Gegenden die wilden Alemannen zum Chris ſtenthum, fliftete das Kloſter Schuttern und nahm als Statthalter des Königs der Franken in Dffenburg feinen Sig. Man gibt in diefer Stadt noch die Gegend an, (bei dem Gaſthaus zum Ochfen) wo fein Schloß geftanden haben
2) ©, obige Sage,
Ortenau. 15
"fol. Auch zeigt man noch Münzen, von denen man behauptet, daß er fie habe ſchlagen laſſen. Später hielten hier die von den teutfchen Königen und Herzogen von Schwaben beftellten
Grafen der Ortenam ihren Hof und ihre Gerichte. 2.2.8.
Ritter Peter von Stauffenberg und die Meerfeye.
In ſteben RNomanzen. (Wahrhafte Geſchichte Herrn Peter v. Stauffenberg.)“ (Straßbg. bei B. Tobias Erben 1595.)
I.
Vorüber zieht manch edler Aar. Herr Peter ein theurer Ritter war, Er war fo feufch, er war jo rein, Wie feined Antlitzs edler Schein, Er war bereit zu jeder Zeit, Zu Schimpf, zu Ernft, zu Luft, zu Streit.
In junger Kraft, in fremdem Land, Sein Mannheit machte ihn befannt, Als er nah Haufe kehrt zurüd, Bedenkt in fih fein hohes Glück, Langſam zur Burg hinauf thut reiten, Was fieht fein Knecht zu einer Seiten ?
Er fieht ein fhönes Weib da figen, Bon Gold und Silber herrlich blitzen, Bon Perlen und von Edelftein,
Wie eine Sonne reich und rein, Der Knecht winkt feinen Heren zu ſich: „Gern diente’ diefer Frauen ich!“
Der Ritter grüßt in großer Zucht, Er drüdt an fich die edle Frucht. — „Ihr ſeyd e8 Ritter, edler Herr! „Das Wunder das mich treibet her,
ee — — — — — —
16
Ortenau.
„In allen Landen, wo Ihr wart, „Hab' ich euch glücklich ſtets bewahrt.“ —
„„Kein ſchöner Weib hab' ich erblickt, Ich lieb euch wie es aus mir blickt. Ich ſah euch oft im tiefſten Traum, Jetzt glaub ich meinen Sinnen kaum, Wollt Gott, ihr wärt mein ehlich Weib, In Ehren dient ich eurem Leib.““
„Run fo wohl hin!“ ſprach da bie Zart: Auf diefe Red hab ich gewart, Ich z0g dich auf mit Liebeskraft, Die alles wirft, die alles fchafft, Ich bin die Deine, ewig Dein,
Doch muft du auch der Meine feyn!
„Nie darfft du nehmen ein ander Weib, Dir eigen ift mein ſchöner Leib Sn jeder Nacht, wo bu begehrft, Und Macht und Reichthum dir befchert, Ein ewig enbelofes Leben, Will ich Durch meine Kraft dir geben.
„Unangefocht wirft du nicht bleiben, Man wird Dich treiben, dich zu weiben. Wo du's dann thuft, red ich ohn Zagen, So bift du tobt in dreyen Tagen;
Sieh weg von mir und denfe nad, Was dir dein eignes Herze ſagt!“ —
„„Nun, herzigs Weib, ift dem aljo, Sp werbet meiner Treue froh. Was fol ich für ein Zeichen haben, Daß Ihr von mir wollt nimmer laſſen ?““ — „Ss trag von mir den goldnen Ring, Bor Unglüd ſchützet dich der Ring.“
Mit fpiefendem Kuß er Abſchied nahm, Nah Nußbach er zur Meſſe kam,
Drtenan.
Da ging er mit den Kreuzen audh, Und nabte fi dem Weiheraudh, Sein Leib und Seel er Gott befahl, Er follt ihn fchügen überall.
H.
Als er auf Stauffenberg nun kam, Schnell ab fprang da der edle Mann, Ein jeder wollt ihn fehen, hören,
Ein jeder wollt ihn höher ehren. Bon feinen Dienern große Eil, Don Fraun und Mädchen groß Kurzweil.
Zu Bette trachtet nur der Herr, ' Nach feiner Frau verlangt er fehr, Biel herrlich Rauchwerf ward gemacht, Das Bett verhängt mit großer Pracht, Den Dienern bald erlauben thät,
Daß fie ſich legten all zu Bett.
Er zog fich ab, feßt ſich aufs Bett, Und zu ſich felber alfo redt: „O hätt ich fie im Arm allein, Die heut ich fand auf hohem Stein!“ Als er die Worte kaum noch ſprach, Die Schöne er mit Augen ſah.
Biel froher Minne fie begehn, Sie mochten einander ind Herze fehn, Wenn einer thät dem nachgedenken,
Sp möchte ihn wohl die Sehnfucht Fränfen.
Als er erwachte, glaubt ers kaum,
Er fand den Ring, fonft ware ein Traum.
II.
„Ihr wiſſet nun zu dieſer Friſt, Daß unſer Geſchlecht im Abgang iſt, II.
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Ortenau.
„So nehmt ein Weib, berühmt und reich, Ihr ſeyd ſchon jedem Fuͤrſten gleich,
Wir bringen euch viel Fräulein ſchön, Die euch gar gerne alle fehn.”
Herr Peter war erfchroden fehr, Sein Bruder fohweigt, da fprach der Herr: „Ich dank euch edle Brüder mein, Doch kann es alfo noch nicht feyn, Zur Kaiferfrönung geh ich hin, Nah Ruhm und Ehre fteht mein Sinn.”
Die Meerfey gab ihm diefen Rath, Sie hat es ihm voraus gefagt, | Sie giebt ihm Gold und edlen Schmud, Wie Keiner ihn fo herrlich trug,
Sie füffet ihn und warnet ihn, Daß er fih nicht gab Weibern hin.
IV.
Der Zierlichfle meinte ein jeder zu ſeyn. Der Stauffenberger zog auch ein, Seins Gleihen war zugegen nicht, Der fo zierlich einher ritt, Der König nahm fein eben wahr, Dazu die Frauen ernfthaft gar.
Trommeten fingen an zu blafen, Die Pferde fingen an zu tofen, Da Iuflig ward fo Roß ald Mann, Wie das Turnier gefangen an, Herr Peter alle darnieder rennt, Er macht dem Rennen bald ein End.
Als nun der Abend fam herbei, Bon neuem ging Trommetenſchrey, Als fie zu Hof gegeffen hatten,
Den fürftlichen Tanz fie allda thaten, .
Drienan. 19
Des Königs Bafe fchön geziert, Den erfien Dank in Handen führt.
Bon Gold und Perlen diefen Kranz, Dem Ritter fett fie auf zum Tanz, Thät auf das gelbe Haar ihm fegen, Thät freundlich ihm den Finger pfeken, Gab ihre Lieb ihm zu verftehn,
Durch manden Blick ſchön anzufehn.
V.
Der König lag in ſeinem Bett, Des Nachts ſeltſam Gedanken hätt, Und ſeine Gedanken gingen ein In ſeiner Baſe Schlafkämmerlein, Und immer ſchwerer kamen wieder, Wie Bienen ziehn vom Schwärmen nieder.
Am Morgen ſchickt er ſeinen Zwerg, Zu Peter Herrn von Stauffenberg: „Die Baſe mein von hoher Art,
Die Fürſtin, jung und reich und zart, Die will ich geben Euch zum Weib, Mit ihrem Kärntnerland und Leut.“
Kein Wort kam aus des Ritters Mund, Erſchrocken ſtand er da zur Stund; „Mein Red halt mir für keinen Spott, Und nimm hiemit zu Zeugen Gott,
Daß es mein ew'ger Ernſt fürwahr, Daß Euer die Fürſtin ganz und gar.“
Herr Peter ſprach mit großen Treuen, Der hohe Lohn könnt' ihn nicht freuen, Wie er der Meerfey ſchon verlobt;
Der Untreu ſey der Tod gelobt, Sonſt ſey er frei von Noth und Leid,
Mit Gut und Geld von ihr erfreut. 2*
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Drtenau,
„Beh Eurer Seele an dem Ort! Sie ift verloren bier und dort, Seht Gottes Auge nimmermehr, Wenn hr Euch nicht von ihr abkehrt; Sollt Ihr nen Geift zum Weihe haben, Nie werden euch die Kinder laben.
„Dem Teufel feyb ihr zugefellt, hr armer Mann! Ihr theurer Held!” Sp ſprach der Bifchof und der König, Der Ritter fagt darauf zum König: „Es geht mir tief zu meinem Herzen, Und Gottes Gnad will nicht verfcherzen.“
Herr Peter ward verlobt fogleich, An Gold und edlen Steinen reich, O heller Glanz der Jungfrau fein, Wie ftrahlt er ihm mit Freubdenfchein! Nah Stauffenberg fie ziehen fort, Zu feiern ihre Hochzeit dort!
hr düftren Wälder auf dem Wege, Was ftredt die Hefte ihr entgegen, Biel froher Schaaren ziehen ja, ' Mit hellem Klange fern und nah, Mit bunten Bändern, Scherz und Streit, Iſt alles Luft, ift alles Freud.
VI.
Auf Stauffenberg zur erften Nacht, Zur ſchönen Frau fein Herze dacht, Alsbald an feinem Arıne lag,
Die fein mit fleten Treuen pflag, Sie weinte, ſprach: „Nun wehe bir! Du folgteft gar zu wenig mir,
„Daß du ein Weib nimmft zu der Ep, Am dritten Tag Vebft du nicht mehr,
Drtenau.
„Ich fag dir was gefchehen muß: Ich laſſe fehen meinen Fuß,
Den follen fehen Frau und Mann, Und ſollen ſich verwundern dran.
„Sp nun dein Aug den auch erficht, So ſollſt du länger fäumen micht, Denn e8 fich immer anders wendt, Empfang das heilge Saframent,
Du weift, daß ich dir Glauben. halte, Auf ewig find wir nun zerfpalten.”
Mit naffem Aug fie zu ihm ſprach: „Here denfet fleißig nach der Sad, Ihr dauret mid) im Herzen mein,
Daß ich nicht mehr kann bei Euch feyn, Daß mich nun nimmer fieht ein Mann, Ich fall in ew’ger Liebe Bann.”
Dem Ritter liefen die Augen über: „Sol ich denn nie dich fehen wieder, So ſeys geklagt dem höchſten Gott, Der ende balde meine North, Ach daß ich je zu Ruhm gekommen, Daß mid) ein fürftlid Weib genommen !“
Sie füßte ihn auf feinen Mund, Sie weinten beide zu der Stund, Umfingen einander noch mit Lieb, Sie drüdten zufammen beide Brüft : „ac flerben das ift jest Euer Gewinn, Ich nimmermehr wieber bei Euch bin !«
VII.
Kein Hochzeit je mit ſolcher Pracht, Gehalten ward bis tief in die Nacht, Viel Lieder und viel Saitenſpiel, Man hörte in dem Schloſſe viel,
Razeran
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Drtenau,
Und alles bei dem Tiſche faß, Man war da fröhlich ohne Maaß.
Sie faßen da im großen Saal, Alsbald da fah man überall, Die Männer fahens und die Frauen, Sie konnten beide es anfchauen, Wie etwas durch die Bühne ftieß, Ein Menfchen-Fuß ſich fehen Tieß.
Bios zeigt er ſich bis an das Knie, Kein fihönern Fuß fie fahen nie, Der Fuß wohl überm Saal erfcheint, Sp fhön und weiß wie Elfenbein, Der Nitter fill faß bei der Braut, Die fchrie bald auf und fehrie gar Taut.
Der Ritter, als er den Fuß erfah, Erſchrack er und ganz traurig ſprach: „O weh, o weh, mir armen Mann !’ Und wurde bleich yon Stunde an. Man bracht ihm fein kriſtallnes Glas, Er fah es an und wurde blaß.
Er fah in dem Kriftall-Pofale, Ein Kind, das fehlief beim lauten Mahle, Es fchlief vom Weine überbedt, Ein Füßchen hat ed vorgeftredt, Doc wie der Wein getrunfen aus, Sp ſchwand das Kindlein auch hinaus.
Der Ritter ſprach: „Der großen Noth ! „In dreien Tagen da bin ich tobt.” Der Fuß, der war verfchwunden da, Ein jeder trat der Bühne nah, Wo doch der Fuß wär kommen bin, Kein Yoch fah man da in der Bühn.
AU Freud und Kurzweil war zerflört, Kein Inftrument wurd mehr gehört, Aus war das Tanzen und Das Singen, Turnieren, Kämpfen, Fechten, Ringen,
—
Ortenau. 23
Das alles ſtill darnieder leit, Die Gäſte fliehn in die Felder weit.
Die Braut nur bleibt bei ihrem Mann, Der Ritter ſieht ſie traurig an: „Geſegne dich du edle Braut, Du bleibſt bei mir, haft mir vertraut,” — „„Durch mic, verliert Ihr euer Leben, In geiftlihem Stand will ich nun leben.““
Das heilge Del empfing er dann, Nach dreien Tagen rief der Mann: „Mein Herr und Gott in deine Hänbd, Ich meine arme Seele fend,
Mein Seel thu ich befehlen Dir, „Ein fanftes Ende giebſt du mir.”
Ein Denkmal warb ihm aufgericht, Bon feiner Frau aus Liebespflicht, Dabei fie baut die Zelle Hein,
Und betet da für ihn fo rein;
Dft betend kam auch die Meerfey hin,
Sie ſprach mit ihr aus gleihem Sinn. (Siehe „Des Knaben Wunderhorn 20.” Bd. L)
Staufenberg, ein noch wohl erhaltenes, von Otto von Staufen- berg, Bifhof von Straßburg, erbautes und neuefter Zeit von ©. 8.9. dem Großherzog geſchmackvoll hergeftelltes Schloß, Liegt auf einem Hügel bei Durbach, 2 Stunden norvöftlih von Offenburg.
Die Sage nach dem Bollsmunve, aus welcher Fouque das Original zu feiner UUnd ine“ gezogen haben fol, ifl auch von Aloys Schreiber bearbeitet worden. Sie fteht in veffen „Sagen aus der Umgegend von Baden” und, in gebundener Darftellung, im Jahrgang 1819 ver Cornelia.
Siehe ferner: „Der Nitter von Staufenberg,“ ein altteutfches Ge- dicht von Egenolt. Mit Tritifchen Bemerkungen herausgegeben von Engelhard. Straßburg 1823.
Nitter Stauffenberg. / ‚(Andere Berfion.)
Sin reicher Flur, auf waldumbüfchten Höhen, Wo ſtolz der Rhein begrüßt die Ortenau, Sieht man der Burg bemooſte Trümmer ftehen, Bon ferne ſchon, auf Felſen fteil und rauh:
Drtenam
Dort tönt e8 in der Morgenwinde Wehen‘. Oft füß, wie Harfenflang — im Abendihau Erhebt fih neu die fhaurig — milde IBeife, Und Geiftertritte wandeln ernft und leiſe.
Dort wohnte Staufenberg, ein edler Ritter, Mannhaft und kühn, wie Richard Löwenherz; Groß war fein Muth im Schlachtenungemitter, Und Lanzenbredden war ihm Spiel und Scherz. Der Liebe Reiz auch kannt' er, füß-und bitter,
In mander Wonn’, in manchem wilden Schmerz, Und bleiben fol, weil ihn ein Weib betrogen, Eein Sinn allein der freien Luft gewogen.
Einft kehrt mit feiner Schaar aus Thal und Sträuchen Der Ritter von der Jagd im dunfeln Hain, Und als das Dörflein Nußbach fie erreichen, _ Läßt er die Knappen vor, und bleibt allein : Nah’ ift ein Duell, ummweht von alten Eichen, Und glänzend nun im goldnen Abendſchein; Hier weilt er oft, und läßt in Traum und Sehnen Auf feiner Laut’ ein Minnelied ertönen.
Wie ftaunt fein Bid, als er an diefer Duelle est eine wunderfchöne Jungfrau fand: Sie ſchaut mit Lächeln auf die Silberwelle, Ihr blondes Haar umfchlingt ein Roſenband; Mild ift ihr Angeſicht, wie Frühlingshelle, Und weiß wie Schnee ihr ſchimmerndes Gewand. Er grüßt: die Maid erhebt fi aus dem Grünen Und danket ihm mit fittig holden Mienen.
Und ald mit Namen fie Darauf ihn nennet, Berwundert fich Darob der Ritterömann : „Es fcheint, o Fräulein, daß Ihr ſchon mich Fennet ?“ Die Schöne fagt: „„Mein Eig ift neben an; Ich ſeh' Euch oft, wenn Ihr im Fluge vennet Dem Walde nach feldab und hügelan; Und fhöpft ihr dann den Trunf am Duell der Wiefen, Hör’ ich die Jäger Euch mit Namen grüßen.”
Ortenau.
Sie ſpricht noch mehr in himmliſch holden Tönen;
Der Liebesgättin gleicht fie yon Geſtalt.
Der Ritter fühlt ein unnennbares Sehnen,
Es Hält ihn feſt mit zaubriſcher Gewalt.
Er horcht der feinen Sprache diefer Schönen Entzückt; doch ad! die Stunde flieht zu bald;
Da geht er bei des fanften Mondes Blicke,
Und fehrt beim nächften Abendroth zurücke.
Er fett fich hier auf einen Felfen nieder, Schaut in das Feld, auf die kriſtallne Flut; Ein füßer Schauer wallt durch feine Glieder, ' Und in dem Herzen brennt der Liebe Gluth. Doch warten ift umfonft, fie fehrt nicht wieder: Er fhleicht zur Burg; ihm finfen Kraft und Muth — So fommt er jeden Abend ber und klaget, Daß ihm nicht mehr erfcheint die holde Maget.
Am fechflen Tag, im fpäten Dämmerlichte, Harrt Staufenberg und feufzt: „Ach! wie fo lang! Wil denn mein Loos, daß ich auf fie verzichte ?" Da tönt ein leiſer, Tieblicher Gefang. Er horcht, und ſpäht bis in des Haines Dichte. Doch ſchien's, daß aus dem Duell Die Stimme drang; Da fit, ald nun fein Schritt zum Waſſer eilet, Die Jungfrau auf dem Stein, wo er geweilet.
O weldes Glück! Er hat fie nun gefunden! Schon lächelt ihm der ſchönſten Träume Ziel: Do fol fein Fragen nichts von ihr erfunden, Und lächelnd feherzt fie nur im Wörterſpiel.
Ah! füß betäubt, zu mächtig überwunden,
Befennt er nun fein liebendes Gefühl;
Sie finnt voll Ernft und fpridt: „An diefer Stelle Seyd morgen früh, noch vor des Tages Helle!“
Und eh’ die Stern’ entflohn auf andre Bahnen, Erfcheinet, faum der Wonne ſich bewußt, Der Held, ed wehn des Morgens lichte Fahnen, Da ſteht die Reizende vor ihm, o Luſt! —
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Drtenau.
Umfrängt ihr Haar von bläulichen Cyanen, Gefhmüdt mit jungen Rofen ihre Bruft. Sie fieht ihn an mit unſchuldvollen Blicken, Und Worte faum vermag er auszubrüden.
Sie winkt zum Sig: er folgt ihr gluthbefeelet, Faßt ihre Lilienhand und fagt dabei, | Wie ſtets um fie die Flamme noch ihn quälet;
Die Maid antwortet: „Eine Wafferfei
Bin ih — von folden wird ja oft erzähle — Auch Menſchen Tieben wir; doch reblich fei,
Wer ein Berlangen fühlt, um und zu werben; Sonft wird und tiefe Dual, und ihm — Verderben.
„Gern, Ritter, ſah ih Euch an dieſer Stelle; Drum, wenn Ihr mein Gemahl zu feyn begehrt, Dleib’ Eure Treu’ fo rein, wie meine Duelle,
‚Und dauernd, wie der Stahl an Eurem Schwert!
Doch wenn fih von Erlinen je der fchnelle Und leichte Sinn zu andern Frauen kehrt,
Wird Noth und Fall fih über Euch vereinen, Und nur mein Fuß zum Zeichen noch erfcheinen.”
Er ruft: „Ha! ohne Dich ift mir fein Leben, . Und ewig fefte Treue ſchwör' ich Dir!” Sie eilt erröthend ihm ein Pfand zu geben: Es ift ein Ring von Demant und Saphir. Er drüdt fie an die Bruft mit füßem Beben Und fpridht: „Ach! welche Wonne finden wir, Nicht mit dem Gold der Erde zu erfaufen, Auf holder Flur in meiner Burg zu Staufen !“
E8 wird beflimmt, daß mit dem jungen Strahle
Des vierten Tags die Trauung foll gefchehn.
ALS dieſer naht, und jeßt auf Flur und Thale Der Morgen fteigt herab von Purpurhöh'n,
Da eilt aus dem Gemab zum hohen Saale
Der Ritter fchon, und fieht drei Körbehen ftehn, Recht Fünftlich fein, geweiht dem Minnefolde,
Und voll von Silber, Edelftein und Golde.
Ortenau. 27
Bald öffnen ſich des Marmorſaales Thüren: Erlina tritt im Hochzeitsſchmuck herein; Sechs Mädchen folgen noch aus den Revieren Ded Duellenreihe, Undinen, blond und fein. Schon fieht das Volk zur Burgfapelle führen Die Glüdlichen, wo, ihren Bund zu weih’n, Der Priefter harrt, und bald dem edlen Paare Den Segen fpridt am heiligen Altare. —
Wie felig fühlt fih an Erlina’s Wangen Der Ritter nun! Wie dünkt ihm öd' und rauh Die ftürm’fche Luft der Welt! Sie ift vergangen, Sein Herz ſchlägt nur der häuslich-milden Frau. Sn fanfter Schönheit lockt fie fein Verlangen, Sp wie den regen Welt die Blumenau: Ein Jahr entfloh, da lacht — o füße Gabe - Des Bundes! — ihr im Schooß ein holder Knabe.
est hört man, dag dem Frankenkönig dräuet Mit ftarfer Macht ein Feind von Süden her, Und daß der Held die edlen Schaaren reihet, Der Gränze nah’, zur tapfern Gegenwehr. Schon ordnet rings im Waffenglanz und freuet Sich auf den Streit das fieggewohnte Heer; Auch Ritter von dem rechten Nheingeftade, Betreten fühn mit ihın des Ruhmes Pfade.
Und Staufenberg? — das rüflige Beginnen Entflammt auch ihn zu neuer Ritterthat: Er will zur Liebe neuen Ruhm gewinnen, Wiewohl er Rorbeern ſchon errungen hat; Und vor die Gattin tritt, nach langem Sinnen, Der Rittersmann, fragt zärtlich fie um Rath, Wie er fol thun; weil Angft und Kummer litte Ihr Herz vielleicht, wenn er zum Kampfe ritte.
Da fließt, der Perle gleih an Saba’s Strande, Ein Thränden von Erlinens Angeficht; Sie faßt fi und erwiedert: „Heil’ge Bande, Wie unfre, tilgen Zeit und Ferne nicht.
Drtenau
Geliebter, eile denn zum Schuß der Lande ! Nicht hemmen werd’ ich deine Ritterpflicht;
Nur, bis dich gute Stern’ und wieder fchenfen, Woll' treulich mein und deines Kinds gedenken!“
Der Ritter ſchwört es ihr bei Heil und Leben, Drückt fie an’s Herz, und bald im Morgenfihein Zieht er, vom Trupp der Reifigen umgeben, Dur heim’fche Fluren fort und übern Rhein. Wo Herzog Otfrieds Banner ſich erheben,
Reiht er ſich fehnell mit feinen Kämpfern ein; Dann eilt das Heer fernhin, auf manchen Wegen Zu Roß und Fuß, dem wilden Feind entgegen.
Nicht lange drauf erfchallt die hohe Kunde: „Sm Byrenä’ngebirg war eine Schladht, Auf Felſenhöh'n und in des Thales Schlunde ; Bald wich, bald drang voran des Könige Madıt. Es fchlug der Kampf wohl manche heiße Stunde -— Doch plötzlich ward ein heft'ger Stoß gebracht Des Feindes Heer’, es fielen alle Schranten, Die Heiden flohn, und Sieg ummeht bie Sranfen.”
So ift ed. Doch wer brah im Schladhtgewühle Der Gegner Mitte nun? Wer hat erhellt Dem tapfern Heer die Bahn zum frohen Ziele ? Bor Allen Staufenberg, der fühne Held: Das erfte Treffen lenkt’ er, und noch viele Der Kämpfe fehn Berg, Haine, Thal und Feld, Dis ſich des Feindes Kräfte ganz ermüden, Und glorreich fchließt mit ihm der König Frieden.
Ad! ſüße Tön’ in Leid und Sorgen waren Erlinen dies; ſchon Tächelt Wiederfehn ! Dald hört man, daß der Krieger tapfre Schaaren Nach ihrer Heimat) im Triumphe gehn; Doch hat vorher noch Staufenberg erfahren, Wie Geift und wackre That den Mann erhöhn: Der König läßt ein goldned Schwert ihm reichen, Und Michaels geweihte Ordenszeichen.
Drtenam. 29
Auch Otfried, Herzog in dem Rhein'ſchen Franken, Will ihn, der ruhmvoll feine Schaar geführt, Bor dem der Sarazenen Banner fanfen, Hoch ehren, wie dem Helden es gebührt, Und möcht' ihm gern auf würd’ge Weife danken: Da, wo fein Hof des Rheines Gauen ziert, Lädt er in einen Kreis erhabner Gäſte Den Rittersmann zum hohen Siegesfefte.
Wie glänzt der reihe Saal in ſtolzer Feier! Wie wird beim Mahl die Freude hoch und Taut! Der Minnefang ertönt zur goldnen Leier,
Und an der Fürftentochter Seite fchaut
Man Staufenberg, der Allen werth und theuer ; Ein Flüftern geht: „Nur er verdient die Braut!” Auch fpricht er gern zur ſchönen Adeline;
Gern lauſcht fie ihm mit Huld und fanfter Miene.
Als froh der zweite Tag in Schatten finfet, Da tritt in fein Gemad ein Höfling ein, Und fpricht: „Ihr wünſcht, o Herr, wie und bebünfet, Der reizenden Prinzeffin euch zu weih’n, Auc fie — vernehmt, wie Glanz und Wonne winfet ! Scheint nicht dem Helden abgeneigt zu feyn. , Drum, wollet mir nur Eure Wünfche nennen, Der Herzog wird Euch gern ald Sohn erfennen !
Und Staufenberg verfegt in Gluth und Beben: „Nicht jet — doch morgen fei mein Wunfch erklärt !” Er fühlt in ſich der Ehrfucht hohes Streben Und daß fein Herz die Liebliche begehrt;
Als des Gewiſſens Schauer ſich erheben —
Denft er: „Wer ew’ge Treu’ der Gattin fehwört, Sollt' eben fo die heil’gen Worte brechen,
Wie ihm ein falfhes Weib? — Gott wird ed rächen |”
In wankendem Entfhluß, in Noth und Thränen, Geht ihm die fehlummerlofe Nacht vorbei. Zu Otfried eilt er, als die Vögel tönen Ihr Morgenlied, und fagt ihm endlich frei,
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Drienam
Nah der Erhabnen flehe nur fein Sehnen, Do knüpf' ihn fchon Das Band an eine Fey. Der Herzog flaunt ob ſolchen Wunderbingen Und meint, Died werd’ ein böfes Ende bringen.
Er finnt vergebeng, ob ein Rath ſich fände; Darum befragt er feinen Hoffaplan. Der fpricht: „Erlauchter Fürft, der Himmel wende Das Unheil ab von diefes Edlen Bahn! Nur wenn fih eine Gattin ihm verbände, Die Lehr’ und Taufe, fo wie er, empfah’n, Könnt er ded Spuks verworfne Bande Idfen Und ſich befrei'tn von dem Geſpenſterweſen.“
Der Rittersmann entfchließt fih: ach! er trauet Sp bald dem gleisnerifchen Priefterwort ! Der Bund, auf den er ſtolze Plane bauet, Die neue Gluth, reißt ihn gewaltfam fort. As auf die Flur der dritte Abend thauet,
- Sieht man verlobt am glanzerfüllten Ort
Den tapfern Staufenberg mit Adelinen ;
Rings tönts: „Ein ſchönes Paar!— Heil, Heil fey ihnen!’ —
Sie ſchauen foll der zwölfte Tag verbunden; Da langt zuvor ein Knecht von Staufen an. Der Ritter ſtutzt, und fragt ihn, welche Kunden Er melden foll? Hierauf verfest der Mann: „Herr! mit dem Kind ift Euer Weib verfchwunden Sp ſchnell, dag Niemand es begreifen Tann; Dies war am Abend der Berlobungsfeier.” „„Seltſam, ruft Staufenberg, und nicht geheuer!““
Es war, — fo denft er — jener Bund gefchloffen, Wenn chriftlich, doch in ſchlimmer Geifter Sinn; Wohl mir, dag fih Das wahre Licht ergoffen !
Und leichten Muths geht er zur Trauung bin. Schon Yacht der Mai und milde Bächlein floffen In dem Gefild; es blüht der Hain, worin .
- Des Fürften hohes Luftfchloß fich erhebet, Bon Dienern und von Zofen neu belehet,
Ortenau. 31
Dort, als vollbracht die firchlihen Gebräuche, Empfängt die Tafel rund im Ritterfaal Den Hof, auch viel der Großen aus dem Reiche, Der Herrn und Damen zu dem Hochzeitmahl. Horch! Hörnerfhall! die Braut, die göttergleiche, Deut lächelnd ihrem Lieben den Pokal, Er nimmt ihn, blidt empor — wird wie verfteinet, Weit — an der Wand ein Frauenfuß erfcheinet.
Kalt fährt es ihm und heiß durch alle Glieder; Nur er Tann fehn den niedlichsfchönen Fuß; Der fchwindet nun: Der Ritter faßt ſich wieder, Trinkt vafch und murmelt: „Geh's denn, wie ed muß |“ Man will, da ſchon die Sonne fteigt hernieder, Zur Hofburg ziehn noch vor des Tages Schluß. Doch Staufenberg? — — Man fieht, er kann nicht hehlen, Daß plöslich ihn geheime Echauer quälen.
Die Wagen gehn im ftolgen Pomp zurüde; Mit Knechten folgt zu Roß der Bräutigam; Er tauſcht mit feiner Holden Liebesblicke, Und birgt nad) aller Macht den innern Gram. Im offnen Feld erfcheint die Bogenbrüde, Und während jegt der Zug hinüber Fam, Will durch den feichten Flug vor feinen Knappen Der Ritter fohnell, und Ienft hinein den Rappen.
Dod in der Mitte fchnaubt Das Roß — nicht weiter Wil es voranz nichts helfen Sporn und Hand; Es baumt und überfchlägt fi mit dem Reiter — Ha! diefer fällt, der Hengft entfpringt an's Land. Schnell wächſt der Strom, ergießt fi wild und breiter, Und überfluthet fchon den hoben Strand; Er raufıht, die Wellen thürmen fih voll Graufen Hochauf, der Donner hallt und Stürme faufen.
Wie läßt fih laut der Frauen Klage hören! Ja, auch den Männern finft der tapfre Muth; Ah! die Bermählte bebt in heißen Zähren — Da fieh! mit einmal weht der Stürme Wutb;
32 Ortenau.
Neu will die Au’n der Sonne Schein verflären, Das Waſſer fällt und fanft hin wallt die Fluth; Die Lerche fingt, des Zephirs Hauche wehen — Jedoch der Ritter ward nicht mehr gefehen. *)
Karl Geib.
(Aus Geib's „Bolksfagen des Rheinlandes ꝛc. ꝛc.“ Heidelb. 1828. Vergl. mit: „Ritter Peter von Stauffenberg und die Meerfeye” in des Knaben Wunder⸗ born, (S. die vorige Sage im Bollston.)
Meluſine im Stollenwald.
Am Durbader Thale fieht man noch im großen Stollen- wald die Trümmer einer alten Burg; am Eingang des Thas les aber erhebt fich links das Schloß Staufenberg. Bon jener alten Burg geht folgende Sage:
Einft wohnte ein Amtmann zu Staufenberg, der hatte einen Sohn, Namens Sebald. Diefer Tiebte den Vogelfang und begab fih im Herbft oftmals an den Fuß des großen Stollenwaldes, um Maifen zu Floben. Da Hört’ er einmal vom Berg herab fo Tieblih fingen, daß er hinauf ging, um zu fehen, was es wäre. Auf dem Gipfel des Stolfenberges ward er in einem Gebüfche ein wunderfchönes Weib gewahr, das zu ihm fagte: „Erbarme dich meiner und erlöfe mich; ich bin verwünfcht, und harre feit Yanger Zeit auf dich; erhöre meine Bitte, du darfſt mid nnr dreimal dreifach Füffen, fo bin ich erlöſt.“ Sebald fragte fie, wer fie denn fey? und fie gab zur Antwort: „Ich bin Himmel-Stollens Tochter, und heife Melufine; *) ich babe einen großen Brautſchatz, und wenn bu mich erlöfeft, fo bin ih und der Schatz bein eigen. Du mußt mich drei Morgen nach einander, um neun Uhr in der Frühe, auf beide Wangen und auf den Mund füffen, dann ift die Erföfung vollbracht. Fürchte Dich nicht, befonders nicht am dritten Tag.” Sebald betrachtete Melufinen, die aus dem Buſche hervorkam, fehr genau. Sie war blond, hatte blaue Augen und ein ſchö⸗ ned Angeficht, aber an ihren Händen Feine Finger, fondern eine trichterartige Höhlung, und flatt der Füße einen Schlan-
*) Ein Ritter Hans Stol von Staufenbergdkommt in Sad’ Bar. Geſch. HI. 246, vor.
Drtenam. 33
genſchwanz. Sebald gab ihr Die erfien drei Küffe, worüber Melufine fehr froh war und ihn bat, am zweiten und dritten Tag wieber zur rechten Zeit da zu feyn. Sie kroch in ihren Buſch zurük und fang: „Komm und erlöfe deine Braut, — hüte Dich wohl, zu erfchreden, Sebald, nimm dich wohl in Acht! Einmal war e6 recht gemacht.“
Da verjank fie vafch in die Erde und Sebald ging heim. Am andern Tage fam er zur rechten Zeit wieder in den Stolfenwald und hörte fie auf der Höhe fingen. Dieſes Mal hatte fie Klüs gel und einen Drachenſchweif, aber Sebald nahte ſich ohne Furcht und gab ihr die drei anderen Küffe. Sie fang ihm wieder dankbar zu, wie am erften Tage und bat ihn, wieder zu kommen, worauf fie abermals in die Erde verfehwand. Ser bald konnte bie Nacht über nicht ruhen und ging früh wieber in ben Stollenwald und hörte Meluſinens Lied, wie an ben vorigen Tagen. Aber diedmal hatte fie einen Krötenfopf und der Drachen⸗ ſchwanz umfchlang furchtbar ihren Leib. Es graufte Sebalben vor diefer giftigen Geftalt und er ſprach zu ihr: „Kannſt du bein Antlig nicht entblößen, fo kann ich dich nicht füffen.“ „Nein!““ rief fie, und ſtreckte mit einem lauten Schrei ihre Arme nach ihm. Die Angft ergriff den Sebald, er fprang den Berg hinab und gerade ſchlug es neun Uhr, als er im ſchnellſten Lauf in der Burg bei feinem Vater anfam und Diefem erzählte, was ihm begegnet war. Er ward jedoch über feine Furchtſamkeit von dem Vater gefcholten, der bie Gefchichte zum ewigen Angedenfen aufs Schreiben Tieß, wodurd fie bis auf den heutigen Tag befannt iſt.
Sp vergingen zwei Jahre. Sebald befuchte nicht mehr den Stollenwald und dachte wohl manchmal daran, daß er die Me- Iufine betrogen habe. Doch war ihm feitdem nichts gefchehen. Als er nun den Dienft. feines Vaters befommen follte, fo fah fih Diefer um eine Frau für feinen Sohn um, und gab ihm bie Tochter eines Amtsvogtes. Bei der Hochzeit im Schlofie Staus fenberg war Alles vecht fröhlich am Tifche, als auf einmal bie Decke des Saales einen Spalt befam, woraus ein Tropfen in den Teller Sebaldg fiel, der, ohne dies zu wiflen, von der Speife aß, augenblicklich aber todt niederfant. Man fah zu gleicher Zeit einen
3
34 Ortenau.
kleinen Schlangenſchweif ſich in die Decke zurückziehen. Noch iſt die Geſchichte in Stein gehauen auf dem Staufenberg zu ſehen. |
(Nah mündlicher Ueberlieferung mitgetheilt von Bernhard Baader in Mon „Anzeiger für Kunde der teutfchen Vorzeit,” Yahrg. 1834, ©. 88)
Der Tenfelsftein auf der Schiehald.”
Micht weit von den zwölf Steinen ifl ein Berg, der heißt bie Schiehald, da feht der größte Stein. Den bat einft ber Teu⸗ fel dahin getragen, und wollte Damit die St. Wendelinus-Rirche im Thal zerfchmettern. Er nahm ihn von den zwölf Steinen weg, ging damit durch das große Rappenloch und fam his auf die Mitte der Schiehald, wo er den Felfen ablegte und ausruhen wollte. Nachher konnte er aber den Stein nicht mehr aufheben, da diefer mit dem fpigigen Ende im Berg. fledden blieb, und noch ſieht man daran das runde Loch, welches die Schulterfnochen des Teufels hineingedrückt haben, als er den Stein hertrug, Noch ſteht er auf der Schiehald und heißt der Teufelsftein, und fo blich die Kirche verfehont. Der Teufel fährt aber manch⸗ mal auf jenem Plate mit ſechs Geisböcken herum und man hört ihn um Mitternacht mit der Peitfhe knallen. Es iſt nicht gut, Nachts an jenem Orte vorbeizugehen, felbft mit Sadeln nicht, denn fie werden Einem ausgelöfcht und die Leute dann in der Irre herumgeführt.
(Nah mündlicher Ueberlieferung, mitgetheilt von Bernhard Baader in Mone's nAnzeiger zur Kunde ber teutfhen Vorzeit.“ Jahrg. 1834. ©. 88.)
Der Schas im Stollenberge.
Im Jahr 1779 diente ein fünfzehnjähriges Hirtenmädchen, welches die Melufine oft gefehen bat, zu Durbac auf dem Eifenbähl. Ein Play Hinter dem Stolfenwald heißt „bei den zwölf Steinen,” da erfchien Melufine dem Mädchen und führte es beim Wolfsloch in den offenen Stolfenberg hinein. Da Tagen am Eingang drei ungeheure Riefen, mit Speer und Harniſch
*) Vergl. mit dieſer Sage die verwandte; Seite A80 diefer Abtheilung.
Drtenan. 35
bewaffnet, und ſchliefen. Als fie weiter kamen, fahen fie große Kiften und auf jeder faß ein fhwarzer Hund. Vor der Melufine fprang aber jeder Hund gehorjam herab und fie öffnete die Ki- fien mit ihrem Sclüffelbund. Es waren feche, alle mit Geld angefüllt, welches Melufine dem Mädchen verfprach, wenn es fie erlöfen wollte, Die Kiften wurden wieder gefchloffen und die Hunde fprangen darauf, um fie zu bewachen. Sie gingen nun zu ben zwölf Steinen zurüd und der Berg fchloß fich bei ihrem Ausgang wieder zu. Dort erzählte Melufine dem Hir- tenmädchen: „Wenn du 18 Jahre alt bift, Fannft du mich er- Löfen, denn ich bin verwünjcht, und will Dir al das Gold geben, das du geſehen haſt. Schon lange hab’ ich auf Dich gewartet und gefchlafen bis zu deiner Ankunft. Hier bei diefen Steinen mußte erft ein doppelter Tannenbaum aus einer Wurzel fproffen, und als er hundert Jahre alt war, mußten ihn zwei Tedige junge Leute am Wunibaldstage umbauen. Der flärffte Stamm wurde auf einem Schlitten hinab ins Thal geführt auf Dagoberts- tag, und aus ben Brettern dieſes Stammes deine Wiege ge- macht.“ — Noch oft Fam Melufine an diefem Ort mit dem Mäd— hen zufammen und man fprad im ganzen Thale davon, daß die Berwünfchte erlöft werden follte. Viele Leute gingen zu dem Mädchen und gaben ihm Gefchenfe zur Aufmunterung, bie enb- lich der Pfarrer die Leute abmahnte und dem Mädchen mit Kirchenbußen drohete. Da kam die Erlöfung nicht zu Stande; wer aber von Sünden rein ift, wird doch zulest die Melufine mit ihren Schäßen erlöfen.
Das Hirtenmäbchen nähte in ihrem fpäteren Alter um Lohn bei den Leuten und lebte noch zu Anfang diefes Jahrhunderts fehr ftill, Tieß fich aber nicht mehr ein, dieſe Gefchichte ihrer Ju⸗ gend zu erzählen. — Bei den zwölf Steinen find noch zwei Zannen zu feben, die aus einer Wurzel entfproßt find und da⸗ mals hundertjährig waren. Man heißt fie Melufinen-Baum.
(Mitgetheilt von Bernhard Baader in „Mone's Anzeiger für Runde der teutſchen Borzeit,” Jahrg. 1834.)
3*
36 Drtenau.
Der Zuß in der Wand.
(Nachträglich zu den zwei anderen Bearbeitungen berielben Sage. Seite 15 u. 23 vief. 328.)
Der Staufenberger ritt zu feiner Burg geſchwinde; Wie bald entließ der Graf fein läftig Jagdgeſinde!
Zur Ruhe fehnt er fh, er war fo müd' geritten; Er dachte: „Lieb, o Lieb!” — Da kam fein Tieb gefchritten.
Sie gab ihm Kuß auf Kuß die furze Nacht voll Wonne, Er meint, e8 wär’ der Mond, da fehien die lichte Sonne.
‚Er ſprach: „Du bift fo fchön, wie könnt' ich dein vergeffen ? Den lodt fein ander Weib, der ſolch ein Glück beſeſſen!“ —
„„So leicht ift Treue nicht, ſchlau wird man dich umgarnen, | Drum fey wohl auf der Hut, mein Lieb, ich muß Dich warnen!
„„Ich bin Kein ſterblich Weib, ich bin der Feyen eine, Mein Reich iſt in der Fluth, mein Schloß im tiefen Rheine. „„Wir lieben Einmal nur, die Liebe nimmer ſchwindet,
Der muß gar fläte ſeyn, der ſich mit mir verbindet. „„Biſt du ein ftäter Mann, will ich dir Freude geben, Und Reihthum, Ehre, Macht, dazu ein langes Leben. vn &enn du die Treue brächft, fo müßt’ ich ewig ragen, Du aber fiechteft hin und fürbeft in drei Tagen.
„Du fähft nichts mehr von mir, als diefen Fuß, erfcheinen, Du hörteft auch nichts mehr, als mein inbrünftig Weinen.” —
Der Staufenberger ſchwur, ihr ſtets getreu zu bleiben, Er ſchwur dem fohönen Weib, ſich niemals zu beweiben.
Sie gab ihm hohen Muth und reiches Gut und Ehre, ' Und dacht? er: „Lieb, o Lieb!” — fo ftand bei ihm die Hehre. Sie gab ihm Glück und Sieg bei jedem Ritterfriele, Wenn er die Lanze ſchwang, fo traf er ſtets zum Ziele,
Wie hat er oft den Dank aus fhöner Hand empfangen ! Des Kaiſers Töchterlein ergriff ein füß Verlangen.
Drienau. 37 Sie ſprach dem Kaifer zu, der Kaifer ſprach zum Grafen: „Mein funges Töchterlein laͤßt Liebe nicht mehr ſchlafen.
„Willſt du mein Eidam ſeyn, ſo kommt es wohl ins Gleiche, Ich gebe dir Tyrol und Kärnthen von dem Reiche!“ —
Er ſprach: „„Ich bin vermählt, Herr, laßt es Euch vertrauen: Es iſt fein ſterblich Weib, die Schönfte doch der Frauen.““ —
„So weh dir, theurer Held! mußt ewig ſeyn verloren, Biſt du dem Geiſt vermählt und haſt ihm Treu' geſchworen.
Doch bindet nicht der Eid, der Biſchof kann ihn löſen, Geweihtes Waſſer tilgt das Bündniß mit dem Böſen.“ —
Dem Ritter wurde bang, er nahm es ſich zu Herzen: nicht will ich Gottes Huld und Eure Gunſt verſcherzen!““
Viel Meſſen laſen ſie; der Weihrauch ſtieg zum Himmel, Und an die Brüfte ſchlug der Graf im Volksgewimmel.
Man hat vie Hochzeit fhön und herrlich ausgerichtet, Biel Rofen hingeftreut und Lieder viel gebichtet.
Als es zu Tifche ging, wie die Pofaunen Eangen ! Wie fchienen rofenroth die Raunen und die Wangen!
. Das Pärchen ſaß vergnügt, die Männer und die Frauen, — Da ließ fih an der Wand ein feltfam Wunder ſchauen:
Die Wand blieb unverlegt, doch kam hindurchgefahren Ein Frauenfuß, fo fhön, als jemals Füße waren.
Bloß war er bis zum Knie und weiß wie elfenbeinen, Sp zarten fab man nie, noch nie fo zierlich Heinen.
Auch ward ein Jammerlaut gehört in allen Kammern, Und in dem Saal zumeift ein Weinen und ein Jammern.
Sie fonnten von dem Fuß die Blicke nicht verwenden, Der Graf erfchrad, pas Glas zerbrach ihm in den Händen.
Er fah den fchönen Fuß, fein Herz zerfchnitt das Klagen, Er ſprach. „Das ift mein Lohn, nun flerb’ ich in drei Tagen!
35 Ortenau — Hanauer Ländchen.
„Du, edle Braut, bift frei, mich tödtet bald die Neue; Wähl' einen andern Mann und halt’ ihm fläte Treue.
„Wähl' einen Königsſohn, der deinem Stand gebühret, Du fiehft, zu welchem Leid ungleiche Ehe führe!" —
Ins Klofter ging die Braut, das ſchien ihr gleiche Ehe. Am dritten Tage brach des Grafen Herz vor Wehe.
K. Simrod. (Siehe Deffen „Rheinfagen ꝛc.“)
3980
Hanauer Ländchen.
Sage vom Korker Waldgericht.
Merlwürdig ift das Korfer Waldgericht, das ehe mals mitten im Dorf unter Eichen, die zum Theil noch ftehen, gehalten wurde und, nad dem Korker Waldbrief von 1476, fol- genden Urfprung haben fol:
„Ein Herr hat geheißen Herr Eppel und feine Hausfrau Uze, feynd gefeflen auf Fürftened bei Oberkirch; Derfelbig Herr iſt fo reich gewefen, daß er Fürſtengenoß war, und bie= felbig ehelich Gemächt hat gehabt eine einzige Tochter, hat ges heißen Sungfer Stefel, diefelbe ift zu Nußbach an einem” Tanz gähling geftorben. Zu berfelben Tochter Seelenruhe haben fie gegeben Korfer Gewälde den Kirchfpielen Kork, Boders⸗ weyer und Tine zu rechten Gottesgaben; Wittwen und Waifen, Arm und Reich zu gebrauchen. Umb diefelbe Gottesgabe feynd bie drei Kirchfpiele Kork, Bodersmeyer und Linr uneing ge= worben, daß Zodtfchläge deßhalb gefchehen.”
Zur Beilegung diefer Streitigfeiten nahmen diefe Gemein- ben anfangs noch Appenmeier und Windſchläg in Gemeinfchaft. Als die Zwiſtigkeiten doch noch fortvauerten, gab eine hohe Perfon den Rath: „man folle ein Wucher-Rind nehmen, das ein Farr war’, fünf Jahr alt, und es einftellen Jahr und Zag, daß ed Sonn’ und Mond nicht febe, (was auch geichah), dann folle man das Rind führen auf den Hof zu Kork an ber
Ortenau — Hanauer Ländchen. 39
Eichen und wohin es gehe, es ſeye zu Weſterholz oder anderſt wohin, ſoll ein Mark ſeyn derſelben Spanne.“ — Dies ge⸗ ſchah ſo; und nun wird weitläufig erzäht, was das Rind für einen Weg genommen und wie ed mitten in das alte Rhein- bett gegangen, ſich dort dreimal gefchüttelt und wieder umges wendet; und wie es wieder in den Korfer Bann gefommen, „da habend die Glocken zu Kork fich felbften geläutet, und iſt das Rind fommen bis auf den Hof zu Kork unter der Eichen und hat ihm daſelbſt Das Herz abgeftoßen und baffelbe Rind ift an eine geweihte Statt begraben worden, als ob es ein Chriftenmenich wäre gewefen. Und fo die Herren, die Amtleute und Wald- genofien geſehen haben das große Zeichen von dem unvernünf- tigen Rindvieh nnd wie daffelbe nach dem Umgang auf dem Hofe fein Herz abgeftoßen bat, (jo fchloßen fie) das gebe Urfah, daß alle Verhandlung wegen berielben Gotteögabe (des Waldes) auf demfelben Hofe und nicht weiter berechtigt und vertheibigt werben ſoll.“ — Wenn Einer einen Waldfrevel beging, („Wald und Weide verbricht”) der foll nur unter fol- gender Bedingung wieder zur Gemeinfchaft fommen: „Er fol zu Kork auf dem Buhl ftehen auf einen Sonntag zu Ausgang der Meß und fol bei ihme haben 24 Maaß rothen Wein, 24 Semmelwel, 24 neue hölzerne Becher, darin der Wein feyn fol und foll fprechen: Ich Habe Wald und Weide verbroden und bitte alle Waldgenoffen, arm und reih, daß man mid) wieder darein ap! — Wenn er das gethan, follen ihn die von Kork wieder in Wald und Weide Yaffen, veffelben Weins und Brots Jedermann zu effen und zu trinfen Macht haben foll.” (S. d. Lahrer hink. Bothen vom Jahre 1815.)
%
Biſchofsheim N
unterfcheidet fi) Durch den Beinamen‘: „am hohen Steg” von den andern Drtfchaften dieſes Namens. Bor Zeiten war nemlich ein hoher Steg über dem Helchenbach, der durch den Flecken fließt, angebracht, auf welchem man vermittelft vieler Stufen hinauf und herunter fieg. Die Fuhrwerke mußten durchs Waffer. Hier war bie ehemalige Reſidenz ber Grafen
40 Drtenau — Hanauer Ländchen.
von Hanau. Der letzte derſelben wurde da geboren, und das Haus, worin er das Licht der Welt erblickte, ſteht noch. Es war damals in ſehr ärmlichem Zuſtande, nicht weil es dem Gra⸗ fen an Geld fehlte, — vielmehr hatte die Amtsſchaffnerei ſehr reiche Einkünfte, — fondern weil man ed damals nicht befier ge- wohnt war. Indeſſen fing biefer letzte Graf doch einen größeren Bau an, farb aber noch vor deffen Vollendung. Es ift eine plumpe Steinmaffe, woraus man mit vielen Koften eine Beam⸗ tenwohnung zugerichtet hat. Als Refivenz hatte Biſchofsheim
ehemals auch eine eigene Münsftätte und hohen Abel. 8.9.8.
Der Leichenzug zu Scherzheim und das wilde Heer.
Zu Scherzheim bei Licht en au iſt jest eine neue Kirche; vordem aber ſtand eine da, die man für die älteſte im ganzen Lande hielt. Viele alte Leute haben an ihr vorüber oft einen Leichenzug von Geiſtern geſehen. Im Advent bis Weihnachten, wo die Geiſter gehen, wenn ed Nachts 11 Uhr geſchlagen, hebt ber Zug im Kälbelögäßel an, voraus mit Kreuz und Fahnen, mit Prieftern im Gewande; fo gehn fie linfer Hand langſam fort, fingen dumpfe Lieder, als ob fie einen Todten zur Ruhe brächten, und tragen eine Bahre, über Die weiße Tücher gehängt find. Wenn fie an der Kirche ankommen, fo gehn fie rings um diefelbe herum, bis fie wieder an das Thor derfelben fommen, wo dann zur linken Seite Alles auf einmal verſchwindet. Fuhr⸗ leute, die von fernen Gegenden herkommen und nichts von die⸗ fen Geiſtern wiſſen, haben fchon oft dieſen Zug gefehen, und im Revolutionskrieg hatten die Defterreicher Kanonen auf dem Kirchhof und eine Wache dabei; aber der Umgang ließ ihnen feine Ruhe; fie mußten Die Kanonen in’s Feld fielen und die Wachen aufheben. Im Kärbelsgäßel hauft der Teufel manch⸗ mal bei Nacht und man hört auch dort Das wilde Heer mit ges
waltigem Lärme baherbraußen. (Siehe Mone's Anzeiger ıc, v. 3. 1834.)
— 1 > —
En
Renchthal um Seitenthäler.
+367o
Der Bannader.
An der Nähe der Ulmburg bei Oberkirch liegt ein Ader, der obigen Namen führt, von deſſen Urfprung die Sage Folgendes berichtet :
Frau Judith, die Wittwe des Kaftelland von Ulmburg, Tebte feit ihres Mannes Tode in einem Häuschen unweit der Burg größtentheils vom Ertrag eines Feldſtückes, das ihr zugehörte. Sie hatte nur eine einzige Tochter, Imma, die zum fchönften Mädchen der ganzen Gegend herangeblüht war. Ad Imma fechszehn Jahre zählte, bepflanzte Frau Judith einen Ader mit Flachs, den follte ihr Töchterlein ſelbſt fpinnen und die daraus gewobene Leinwand zu ihrer Mitgift aufbewahren.
Es wohnten aber in der Nachbarfchaft einige loſe Gefellen, die e8 für bequemer hielten, zu ſtehlen, als zu arbeiten, und ed befonders auf die Plünderung der Feldgüter abgefehen hatten. Der Flachs, den Frau Judith gefäet, war ganz vortrefflid ges biehen und der ſchönſte in der ganzen Gemarkung, fo daß bie Wittwe fid) nicht genug ihre Freude darüber ausdrücken Fonnte. Aber Imma fagte dann jedesmal traurig: „Ach, die Diebe wer- den ihn gewiß bald davontragen!“
„Da wollen wir ihnen ſchon einen Hemmbaum vorfchieben 1” — verſetzte die Mutter. — „Ich weiß ein Sprüdjlein, das lernſt du auswendig, gehſt hinaus auf den Flachsacker und fagft ed Taut her und wie die Diebe das Feld betreten, werben fie feft- gebannt und können nicht mehr yon der Stelle weichen.“
4) Renchthal und Seitenthäler.
Imma lernte den Segen auswendig und als am nächften Sonntag bie erfte Feftglode Täutete, ging fie hinaus nnd ſprach folgendes Bannſprüchlein: |
„Dieb oder Diebin, fommet nur an! Sch bind’ euch alle hier mit dem Bann, Mit dem Herr Chriftus die Hölfe bunden, Mit feines Leibes heiligen Wunden,
„Es ftehn drei Lilien in Blüthe Auf unfers Herrgotts Grab;
Die erſt' ift feine Güte,
Die zweit’ fein fanft Gemüthe, Die drit? fein göttlicher Wil. Mer drunter ifl, muß halten ftil, Sp lange Gott und ich es will,
„Wohl dreiunddreißig Engel Die faßen beieinand’ Und pflogen mit Maria Der Ehren allerhand ; Da Sprach der heilge Daniel lieb: Schaut, liebe Frau, dort fommen Dieb’, Die wollen dein Kind dir flehlen, Das kann ich dir nicht verhehlen ! Da ſprach unfre liebe Frau mit dem Rind Zu St. Peters: Bind’, St. Peter, bind’ ! Da fprah St. Peter: ich habe die Dieb’ Schon feftgebunden mit einem Band, Und zwar mit Gottes felbfteigener Hand. Jetzt mögen fie ftehlen, drinnen und draus, Im Wald, im Felde, Hof oder Haus!“
Nachden Imma diefen Segen gefproden, kehrte fie nad Hauſe zurüd, nicht ohne Vertrauen auf den guten Erfolg, ber auch nicht Iange ausblieb. Denn als fie am folgenden Mor⸗ gen vor Sonnenaufgang mit der Mutter auf den Flachsacker hinaus ging, um nadzufehen, fand fie daſelbſt zwei unge Burſche fefgebannt, die fih nicht um ein Härchen von ber Stelle bewegen konnten und fih mächtig fehämten, in ſothane Falle geratben zu feyn. Laut jammernd flehten fie die Frauen
Renchthal und Seitenthäler.- 43
an, ſie doch vom Banne zu loͤſen; aber obgleich das Herz der Frau Judith nicht arm an Mitleid war, ſo konnte ſie doch bie Bitten der Gefangenen nicht erfüllen, weil fie die Löſungs⸗ formel vergeffen hatte, und man mußte zulegt einen Geiftlichen herbeiholen, um bie Gefellen vom Banne zu löfen. Dadurch verbreitete füh Die Kunde von dem Vorfalle weit und breit und das Flachsfeld erhielt vom Volke den Namen „der Bannader.”
(S. AM. Schreibers „Sagen aus den Nheingegenven, ben Vogeſen, und bern Schwarzwalde.“)
Der Ning.
Ueber dem Oppenauer Thalgrund erhob ſich einſt die ftattlihe Bärenburg, von deren Mauern aber längſt nichts mehr fihtbar iſt. Bald nah ihrer Zerflörung hatte fih das Gerücht verbreitet, Daß ein großer Schag an Gold und Koftbar- feiten aller Art in einem unterirdifchem Gewölbe dortfelbft ver- borgen liege. Einem jungen kecken Edelfnechte von dem benach⸗ barten Shlog Bofenftein ſchwoll das Herz vom Gelüften, ben Schag zu heben. Ein fahrender Schüler, der damals in der Gegend herumzog, Tehrte ibn Die zu deffen Beihwörung ' nöthige Formel, mit deren Sprud er ſich wirffich den Eingang in das tiefe modrige Gewölbe dffnete, worin bie Ahnen der Bä- renburger in ihren Särgen lagen. Er bob verwegen einen Dedel nach dem andern auf, Doch lauter Gerippe flarrten ihm entgegen und son Kleinodien war nicht das geringfte zu erbliden. Ends lich fand er im letzten Sarge den noch unverweften Leichnam einer Jungfrau von Bärenburg, der Letzten ihres Stammes, welcher mit ihr ausgefiorben war. Ihren Finger fehmüdte ein bligender Diamant und ihren Naden eine ſchwere goldene Kette. Raſch nahm ihr der Edelknecht Beides ab und floh Damit nach Haufe. Doch, noch nicht begnügt mit dieſem Funde, fland er fhon des anderen Tages wieder im Todtengewölbe, um weitere Nachforſchungen anzuftellen. Da richtete fich die bleiche, geftern von ihn beraubte Jungfrau langſam in ihrem Sarg empor, faßte plöglich feine Hand und fprach mit ſchauerlichem Tone:
44 Renchthal und Seitenthäler.
„Haſt mir den Ring genommen, Mein Kettlein auch dazu,
Nun biſt du mein Verlobter, Leg' dich bei mir zur Ruh!“
Mit geſträubtem Haare riß der Edelknabe ſeine Hand aus dem Griffe der ihrigen eiskalten los und ſtürzte hinaus, fort nach Boſenſtein zurück. Doch wenige Tage darauf warf ihn ein Fieber auf die Leichenbahre.
(S. Al. Schreibers „Sagen aus den Rheingegenden ꝛc. ꝛc.“)
— — — — —
Allerheiligen's Stiftung. ”
So ſprach Frau Uta, die Herzogin: „Ich will ein Klofter ftiften, Ihr Räthe, fagt, wo ſtell' ichs hin?“ Da gabs viel Reden und Schriften Bol „ſintemal“ und „alldiweil,“ „Inmaßen“ und „berowegen.” Faſt Jeder fuchte das Gegentheil Bom Andern darzulegen. — „Sp wird mein Wille nie zur That, Der Nebel immer dichter ; Geht, holt mir einen Flügern Rath, Der fey des Zweifels Schlichter 7 — Ein Efel wars. Den fchidt fie hinaus, Bepackt mit reihen Schäßen : „Run, lieber Getreuer, fuch mir aus Den beiten von allen Plätzen!“ Rath Langohr fchleicht im trägen Gang, Dem weiland amtsgemäßen, Als wär’ er all fein Leben lang Herzoglicher Rath gewefen. Bald wirds ihm heiß auf feiner Bahn, Die Thäler glühn und dampfen, Ein grimmig Dürften fällt ihn an, Drob hebt er an zu flampfen;
Renchthal und Seitenthäler.
Doch kaum hat ſeines Hufes Schlag Den lockern Grund getroffen,
Da ſprudelt ein klarer Quell zu Tag, Da hat er ſich ſatt geſoffen.
Und weiter ſchleppt er ſeinen Sack, Bis an des Felſens Schiefe
Er jählings feinen ſchweren Pad Wegfchleudert in die Tiefe.
„Freund Langohr, Flug iſt bein Entfcheid ! Hier unten will ich bauen;
In wilder Bergeseinfamfeit
Soll man das Klofter fchauen.” — Und fo nad Efelsrath ward dort Sogleich auf der Frau Ita Wort Der Kiofterbau begonnen
Und raſch vollführt; nah diefem Ort Fließt noch der Eſelsbronnen.
Zulegt noch eine gute Lehr’ Für Alle, fo dies Iefen: Des Efels Rath frommt öfters mehr Denn hochgelahrtes Wefen.
Allerbeiligen’s Ende, Adels-Preis und Herrlichkeit, Prieſtermacht und Glanz verbleichen, Denn im Weft mit biutgen Zeichen Steigt empor die neue Zeit.
Eduard Braser.
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*) Die fromme Frau Uta, Toter eines Grafen von Calw, und die Gemahlin eines Herzogs aus dem Geflecht ver Welfen, bewohnte die Shauenburg, deren Trümmer von einem hoben Felfenblode auf einem Berge nahe beim Städtchen Oberfirch herunterfehen. Shauenburg hat ihren Nanten nicht umſonſt; denn von bier aus genießt man einer wundervollen Fernſicht ind Rheinthal und Die Gebirge. Das fie diefen Namen deßhalb erhalten, weil vie Straßburger fie einft vergeblich belagerten und beim Abzuge fich felbft zum Hohne gefagt hät- ten: „Wir fchauen an die Burg!“ ift wohl nur aus der Luft gegriffen.
Die
46 Renchthal und Seitenthäler.
Auch Frau Ut a's Gotteshaus Iſt dem Untergang verfallen, Traurig aus den Kloſterhallen Zieht der Mönche Schaar hinaus.
Und des Hauſes Gründerin, Uta, fihwebt herab zur Erbe; Was aus Allerhbeifgen werde, Forſcht fie mit betrübtem Sinn.
Sieh, da pflegen juft die Herrn Rath mit hochgelehrten Mienen: Wie der Bau nun möge dienen, Ob als Strafhaus, als Kaſern'?
Reden, fehreiben hin und ber Mit bedächt’ger Ueberlegung, Ziehen gründlichſt in Erwägung Diefer Das und Jenes Der.
Uta hört geduldig lang, Wie die Herren fich verflügeln, . . Doch nicht länger mag fie zügeln Ihres Unmuths heißen Drang.
Bon des Schwarzwalds Felfenfig Gießt fie finftre Wetterfchauer : Weh! des Kiofters höchſte Mauer Spaltet ein gewaltiger Blitz!
„Run ihr Herren! mit Verlaub, Sparet euch des Nathens Mühen!" — Flammen zifchen, Funken fprühen, Und das Klofter finft in Staub.
Eduard Brauer.
‚*) Diefes Gedicht bildet das Gegenſtück zu dem vorftehenden. Nicht minder außergewöhnlich und bemerfenswerth als deſſen Gründung (nad) der in der Klofterchronif aufbewahrten Sage) war auch das Enbe des Klofters. Im Jahr 1803, als kaum die Mönche das Klofter verlaffen hatten, und man darüber ſich beratbfehlagte, zu welchem Zwecke das Ge⸗
Er: RT, ⸗ fe Au WA Kr) A A A mu IK Yale x fd 7 kır oc Renchthalund Seitenthäler. 47
bäude nun verwendet werden ſollte, (als Correctionshaus, Spinnerei, Kaſerne ꝛc. 20.) warb es vom Blitze getroffen und brannte gänzlich nie⸗ der, Nur bie Kirche blieb ſtehen. (Vergl. Kolbs Lexikon und das Univer⸗ Talleriton von Baden.Jf”
Allerheiligen. ‚Die Felſenkirche.
Nach der ehemaligen Abtei Allerheiligen führt, von Dppenau her, der Weg Durch ein wildes Thal aufwerts. Nicht weit davon liegt, auf einer einfamen Walpftelle, ein viefiger Selfen, der beinahe die Form einer halbzerfallenen Kirche hat. Wirklich fol er auch in uralten Zeiten eine Kirche, und zwar eine der erſten chriftlichen Kirchen des Landes gewefen feyn, Die
- ein edler Alemanne geftiftet habe. Bon dieſem geht folgende Sage:
Er hinterließ fieben Töchter, die eben jo ſchön als fromm waren und auf der väterlichen Burg miteinander in tiefer Stille und Eingezogenheit lebten. Es war um die Zeit, ald der Hun⸗ nenkönig Attila, die Geißel Gottes genannt, mit feinen unzähl- baren wilden Horben an den Rhein fam, um aud Gallien zu überfhwemmen. Er Tieß eine ungeheure Menge Flöße bauen, um darauf überzufegen. Bon den Haufen, bie ausgeſchickt wur- den, um das nöthige Holz dazu im Schwarzwalde zu fällen und berbeisufchaffen, kam einer durch Zufall auf Die Burg, wo die Schweftern hauften. Diefe rohen Kriegsmannen ehrten eben fo wenig die Tugend als die Wehrlofigfeit, und wollten ihren fre= chen Begierden freien Zügel laſſen. Die Jungfrauen fahen bier nur die Wahl zwifchen Tod und Schande; aber fie waren augenblicklich entſchloſſen, erfteren vorzuziehen. Da rieth ihnen ein alter getreuer Diener, ſich gegen Abend burch einen unter- irdiſchen Gang in die Kirche zu flüchten, welche ihr Vater er- baut hatte, Er hoffte, bis dahin die wüften Gefellen beim Trunfe binhalten zu können und meinte, fie würden nicht fo Leicht Darauf verfallen, auch in die Kirche zu dringen, die hinter einem Wäld⸗ hen ziemlich verſteckt lag. Die fieben Schweftern befolgten die—
48 Renchthal und Seitenthäler.
ſen Rath und erreichten auch glücklich die heilige Stätte; aber ein treuloſer Knecht, der ihre Flucht bemerkt hatte, verrieth den Hunnen das Geheimniß. Dieſe ſtürzten wutherfüllt nach der Kirche; als ſie aber deren fußdicke eichene Pforte verriegelt fan⸗ den, fällten ſie einen jungen Tannenſtamm, um damit wider die⸗ ſelbe Sturm zu rennen und ſie zu ſprengen. Doch als ſie vom Walde zurückkehrten, um dies Vorhaben auszuführen, war der Eingang zur Kirche nicht mehr zu finden. Nirgends eine Spur mehr von einer Pforte; ſogar die Fenſter und anderen Oeffnun⸗ gen waren verſchwunden. Wohl ſtand die Kirche noch da, jedoch nur als ein mächtiger, undurchdringlicher Fels, aus deſſen Innern leis und ſchauerlich ein Pſalmenchor jungfräulicher Stimmen ertönte.
Noch vernimmt zuweilen der einſame Thalbewohner in ſtil⸗ len Nächten liebliche Geſänge, die aus dem Felſen zu erklingen ſcheinen, und das Herz mit frommem Sehnen erfüllen.
Auguſt Kopiſch hat obige Sage kurz und fräftig geſun⸗ gen, wie folgt:
Die Felſenkirche. Die wilden Hunnen werfen den Knecht: „Wo find die Fräulein ? ſag' es recht!" — „„Die fieben Fräulein find entflohn Zur Kirch’ und beten zu Gottes Sopn.““ Die Hunnen rennen zur Kirche dar, Der Kirche Thür’ verſchloſſen war. Die Hunnen fällen die hohe Tann Und rennen wider die Thüren an. N Die Fräulein zu Maria fehrei’n, Die Kirche wird ein Felfenftein. Der Wandrer, der vorüber zieht, Hört noch im Stein der Frommen Lied.
Eine Reihe von Felfen in der nächſten Umgebung viefer Felſenkirche wird jeßt noch die „Siebenfhwefterfelfen” genannt; nahe dabei erhebt fich ein anderer Felfen „ner Reiterfprung”. (Siehe die fol- gende Sage.) Diefer Punkt wird vom „Känzele“, einer Felſenhöhle aus, am beften gefehen.
(5. WU, Schreiberd „Sagen aus den Rheingegenden 2c.”)
Renchthal und Seitenthäler. 49
Der Neiterſprung.
Unweit des Kloſters Allerheiligen rauſcht Die Lierbach in einem fehauerlichen Abgrunde über gewaltige Felfen und Stein- blöde. Den Neugierigen,, der an den Rand der Klippen tritt und in bie jähe Tiefe hinabſchaut, faßt plöglicher Schwindel. Ein einziger Fehltritt — und unvermeiblicher Tod wäre das Loos. Bis hierher verfolgten im breigigjährigen Kriege einige Defter- reichifche Reiter einen Schwebifhen. Da der tapfere Flüchtling hier feinen Ausweg mehr ſah und eher Alles verfuchen wollte, 18 ſich gefangen geben, trieb er rafch fein Pferd zu einem ge⸗ waltigen Sprung über den breiten, graufigen Abgrund. Allein dem bereits erfchöpften Thiere fehlte die nöthige Kraft; es ſprang zu kurz, und Roß und Reiter zerfchellten an den Klippen der Tiefe.
(S. „Sagen aus Baden und ber Umgegend.“ Garlöruhe 1834.)
Der Zigeunerwald,
Unfern des Eſelsbrunnens*) bei Allerheiligen Liegt der Wald diejes Namens. Bor Zeiten haufte darin eine Schaar Zigeuner, bie gleichfam eine Kolonie bildeten, in der Umgegend ihr Diebs⸗ und Wahrfagersgewerbe trieben und das Geflohlene in der 50 Schuh langen Felfenhöhle (noch jet die Zigeunerhöhle genannt) verwahrten. Die Mönche der Abtei Allerheiligen duldeten aber das Bölfchen gern in ihrer Nähe, ja fie nährten und pflegten Dafielbe, weil es dem einfam gelegenen Gotteshauſe als Schug
und Wache diente. (S. das Univerfalleriton vom Groß. Yaben. S. 22.)
(Ausführliheres Über Allerheiligen und die Herzogin Uta findet fi anmuthig erzählt in Joſ. Bader's „Badenia,“ dritter Jahrgang S. 246 u. ff.)
*) Bei diefem Brunnen fand 2 noch ein Stein mit der Infchrift: „Ahno 119 Ward bier ein Eſel durchgeführt, Von deſſen Huf der Quell en .
Acherthal m Seitenthäler. Zürenne’s Fall. ”
Anſtatt der Thürme, Die gefallen, Der muntern Städte, Die verbrannt, Siehft du die weißen Fahnen wallen Bon rauher Lager Zeltenwand.
Die blanfen Glieder der Musketen Erfteben ftatt der Silberſaat; Statt goldner Aerntewagen treten Der Reiter Reih’n der Gaue Pfad.
Statt Glockentons zu frommem Flehen, Erſchallt die Trommel zu dem Streit. Der ſchwarze Wald von feinen Höhen, Er trauert um bed’ Landes Leid;
Es fleht der Held am Eichenbaume
Bor reichgefhmüdtem Führerfhmwarm,
Und firedt nach feinem Siegesraume Den Feldherrnſtab mit ſtolzem Arm.
So weit des Helden Augen reichen, Kein Feindeshaupt bis an den Rhein Sie ſtäubten hin vor feinen Streichen Und Teutfchlands Paradies ift fein. Er hebt in feines Ruhms Gedanfen Die Stirne freudig himmelan;
Acherthal und Seitenthäler. 51
Der Thränen Millionen ſanken, Damit ein Stolzer lächeln kann.
Fällſt du ſo willig, teutſche Ehre, Verbirgſt dein Volk in Wald und Schlucht, Mit Weibergrimm und feiger Zähre? Hat dich dein Gott im Zorn verflucht? Dir ſtehn allein noch deine Eichen, Zerſchlagen liegt dein treuer Heerd. Doch deines Baumes Schatten reichen Ein Throndach Dem, der dich entehrt.
Horch, wie es dröhnt im greiſen Aſte! Den Fluch im tauſendjähr'gen Arm Schlaͤgt er herab nach ſeinem Gaſte,
Gibt ihm den Tod für Schmach und Harm. Des Helden Stirne liegt zerbrochen; — Bald bricht, o Volk, dein fremdes Joch! Es hat dein alter Gott geſprochen
Im Braußen deiner Eichen noch.
Georg Rapp.
*) Das Denkmal des Marſchalls Türenne, — ein großartiger Obelisk von Granit, — ſteht bei dem eine halbe Stunde von Achern entlegenen Dorfe Sasbach. Im Jahr 1675 ſtunden ſich bier die Heere der Oeſterreicher unter Montecuculi, und der Franzoſen unter Türenne lange unſchlüſſig gegenüber und es wollte zu keiner rechten Schlacht kommen. Sn dem kaiſerlichen Deere befand ſich auch der Markgraf HPermann von Baden. Eine bisher noch nicht widerlegte Erzählung ſagt: Tü— renne, welcher einen Schimmel ritt, habe einen Platz recognoseirt, wo⸗ hin er fein Gefchüß aufführen zu Taflen beabfichtigte. Der Markgraf, der eine Batterie befehligte, und ihn bemerkte, habe nun einen feiner Kano⸗ niere gefragt, ob er fich getraue, Jenem dort auf dem Schimmel eine Kugel zu fenden? Gleich habe der Kanonier fein Geichüß gerichtet und die gefeuerte Kugel traf in eine Eiche dicht über Türenned Haupt, und der flürzende Aftmgerfchmetiterte ven Helden.
Anm. des Herausg.
4*
52 Achernthal und Settenthäler,
Das Brigittenfchloß.”
Deftlih vom Erlenbad, eine halbe Stunde von S ass bach, wo Türenne’s Denkmal fteht, erhebt fich ein hoher fteiler Bergfegel, von deſſen Spige noch Die wenigen Trümmer bes fogenannten Brigittenfchloffes berabfehen.
Der Sage nah fol in uralten Zeiten das Schloß tiefer und zwar an der Stelle geftanden haben, wo jest das Landgut Aubach liegt. Damals wohnte Dort, wie es heißt, eine Edel⸗ frau, Namens Brigitte, welche, eine Meifterin in allen hölli⸗ ſchen Zauberfünften, die ganze Umgegend oft mit Seuchen, Ueber: fchwemmungen, Hagel, Inſekten und anderen Plagen heimſuchte, je nachdem ihr böfes Gelüſte fie dazu trieb. Darob war dag Bolt gewaltig gegen fie erbittert und als einft ein furchtbares Gewitter den ganzen Jahresſegen des Feldes zerftört hatte, fohaarten ſich die Bewohner der umliegenden Dörfer und Höfe zufamuen und zogen, mit Senfen, Drefchflegeln, Heugabeln, ır. Einige fogar mit Bogen und Streitärten bewaffnet, rachebrül⸗ end gegen die Burg der Frau Brigitte. Dem Zuge voran wurde ein Kreuz getragen, das man aus einer Kirche genom- men, als ficherfter Wetterableiter alles Hexenſpucks, womit fich die ſchlimme Here zur Wehre ſetzen könnte.
Als der tobende Haufen bei der Burg anlangte, fand er die Zugbrüde aufgezogen und alle Zugänge dicht verrammelt ; auf den Wällen und Zinnen aber ſah man eine Unzahl Eleiner grauer Männlein, die eher Affen, als Menſchen glichen, ge⸗ fhäftig hin und her wimmeln. Die meiften Bauern überlief bei dieſem Anblid ein Grauen, Doch ein junger Mönch, der fich dem Zuge angefchloffen hatte, fachte ihren erlöfchenden Muth wieder zu neuen Flammen an durch Die Verfiherung: daß Alles "nur teuffifches Blendwerk fey, das augenblicklich verfchwinden müße, fobalb Jeder Das Zeichen des heiligen Kreuzes dagegen made; fie follten daher bei Anbruch der Nacht in Gotted Nas men getroft auf die Burg Sturm laufen. F
Als alle Berfehrungen dazu getroffen und die Belagerer, yon ihren Wachtfeuern umlodert, eben im Begriff waren, bie
*) Burgruine im binterften Theile des Sasbacher Thales, vom Städtchen Achern ein und eine halbe Stunve öſtlich.
\ Achernthal und Seitenthäler. 53
Burg im Sturm zu nehmen, ſahen fie plötzlich auf dem Thurme berfelben drei blaue Slämmchen im nächtlichen Dunkel herum: tanzen, Gleich darauf gefellte fih Frau Brigitte zu denſelben, einen Zauberflab in der Hand, den fie nach den vier Weltge- genden ausftredte, während fie mit lauter Stimme eine Zauber: formel dazu fprad. Kaum war fie damit zu Ende, als der Boden unter ihnen erbebte, ein fürchterliches Geheul durch die Luft erſcholl, die Sterne verlofchen und mit einem Knall, als wolle die Erbe berften, der ganze mächtige Bau des Schloffes fih aus der Tiefe feines rundes losriß und, von unfichtbaren Gewalten getragen, auf die höchſte Spike des Berges fehwebte, wo es fich fo feftfeste, als wär’ es ſchon vor uralter Zeit auf biefer Stelle gegründet worden. Erftarrt vor Entfegen ſchauten der Mönch und die flurmluftigen Bauern dieſem Zauber nad), aber ihr Schreden wurde, wo möglih, noch größer, als das Herenweib ihnen vom Thurme herab zurief: „Solltet ihr euch vermeffen, mich auch bier auf meiner neuen Wohnftätte zu bes unrubhigen, fo werbe ich eure Wohnungen, fammt Allem, was darin ift, ebenfo wie meine Burg, durch die Lüfte forttragen und in den Rhein oder Bodenfee hinab verfenfen laſſen!“ — Der ganze Haufe rannte nun nad) Anhörung dieſer gräßlichen Drohung, fo fehnell ihn nur die Füße trugen, nad) feinen Woh⸗ nungen zurüd und eine lange Zeit verging, ohne daß irgend ein Menſch den Muth gehabt hätte, den Berg wieder zu befteigen, von deſſen Gipfel das gefpenftige Schloß herabflarrte. Ohnge⸗ fähr ſechzig Jahre fpäter verirrte fi) ein Mägdlein, das Erd⸗ beeren fammelte, bis vor den Eingang der Burg, deren Mauern fie vor dem ringsherum ſtehenden dichten Gebüfche nicht gleich gewahr geworben war. Da fah fie plöglic eine ſchwarzver⸗ ſchleierte, weibliche Geftalt hervortreten, bie einen golbenen Schlüffel in der Hand hielt und ihr winfte, mit zu kommen. Das Mädchen aber rannte mit einem Schreckensgeſchrei Davon und den Berg wieder herab. Bald darauf zerfiel die Burg Mauer für Maler und als einige Jäger es einmal wagten, in die Ruine zu dringen, fanden fie nichts darin als einen Haufen menſchlicher Gebeine und unzählbare Schaaren von Eulen und
Sledermäufen. (S. AM, Schreibers „Sagen aus den Rheingegenden ⁊c. ⁊c.“)
54
Acherthal und Setitenthäler.
Brigitta von Hohinrot.
(Zweite Sage vom Brigittenſchloß.)
Bas finnt das hohe, flolze Weib, Im Bogengang um Mitternadt? . Sie hebt im Zorn den edlen Leib Und öffnet eine Pforte facht.
Sie fteht vor ihrer Liebe Mann, Der rubt im Arm der Dirne hold;
Sie winft der Magd zu ſich heran:
„Ich zahle dir den Buhlerſold!“
Da kehrt ihr Herr die Schaam in Wuth; Am fcharfen Dolche bebt fein Arm, Ihr hoher Bufen finft im Blut, _ Ihr ſtolzes Auge bricht im Harm.
Den Frevel fhaut die Mondesgluth Und rührt gelind die Starre an; Sie waſcht fih ab ihr klebend Blut Und wanft hinaus auf öder Bahn.
Sie hüllt die welfende Geftalt In tiefe Kloſterſchleier ein, Und baut im weltverfchwiegnen Wald Ein Hüttendach der flummen Pein. —
Der Gattenmord bat feinen Troft Und Reue wandelt fi in Flud). Er flieht, gerichtet und erboßt, Ihn treibt ihr Blut wie Zauberfprud).
Er haut den Feind und fohlägt den Freund, Beſäet mit Blut den Räuberlauf; Die Flamme fleigt, wo er erfcheint, Doch rother fteigt ihr Blut ihm auf.
In Trümmer bricht fein ſtolzes Schloß, hm fehreit der Fluch des Volkes nach,
Acherthal und Settenthäler.
Ihn hetzt der Hunde lauter Troß, Ihr Blut ſchreit lauter als die Schmach.
Er ſtürzt ſich von der Felſenwand, Er ſtürzt ſich in den Strom hinab, Der wirft ihn ſchaudernd an den Strand, Die Erde beut ihm auch kein Grab.
Er knirſcht zerſchellt im öden Wald, Sein Haupt umrauſcht der Raben Flug; Der Sturm der düſtern Wüſte hallt, Verſchleiert naht ihm, die er ſchlug.
Und als er ſtirbt in ihrem Schooß Enthüllt ſie mild ihr Angeſicht, Und ſanfte Thränen brechen los, Da ihm das Herz im Frieden bricht. Georg Rapp.
Das Brigittenfchloß. (Hohinrot.) \
(Andere Berfion.) In drei Romanzen. . u Am Walde fteht verborgen
Das Feine Siedlerhaus; Der Greis tritt früh am Morgen In Gottes Welt hinaus; Sein Glödlein, angefchlagen, Verhallt im blüh’nden Bann, Da fchwingt fih über'n Hagen Ein kecker Jägersmann.
„Sey mir willkommen, Alter!“ — So grüßt der Jäger friſch — „Leg' heute Kreuz und Pſalter Und Gürtel auf den Tiſch,
Und zeig’ mir, frommer Degen, Was du sor Zeiten warft,
53
Acherthal und Seitenthäler.
Du Held, vor deſſen Schlägen Manch ſtolzer Scheitel barſt!
„Da ließeſt du die Mette, Das Kreuz, des Teufels ſeyn, Griffſt in manch Ehebette, In manchen Pferch hinein, Warſt tapfer auf der Meute, Frugſt nichts nach Recht und Pflicht; — Zum Ritter ſprech' ich heute, Des Mönchleins acht' ich nicht.
„Du willſt mein Wappen kennen? Frag', Alter, ohne Noth! Man wird mit Schall dir nennen Den Herrn von Hohinrot, Den mehr, als Kreuz und Klauſe, Jagdluſt und Minne reizt, Doch dem ſein Weib zu Hauſe Die Hölle gut geheizt.
„Die Hölle, ja die Hölle, Die Eh' iſt mir verhaßt! Das, Möoönchlein, iſt die Duelle, Die nichts als Jammer faßt. Ein Weib ift unerträglich Das kalt für Minnefcherz, Nur von Gebeten kläglich Hat immer voll das Herz.
„Drum höre meine Bitte: Wenn heut am Abend fpat Mein eifig Weib Brigitte Sich deiner Zelle naht:
Sey taub für ihre Klagen, Wirf ab den Schafvelz gleich, Und öffn' ihr ohne Zagen
Das Thor zum Himmelreich.
N.
*
Acherthal und Seitenthäler. 57
„Du haſt mein Wort begriffen? Died Schwert, fo glatt und fein, Das ift ein ſcharf gefchliffen Blank Himmelsfchlüffelein ;
Das ſtoß' ihr in das kalte
Tieblofe Herz hinein” -—
Voll Grauen ruft der Alte:
„Herr! Herr! das kann nicht ſeyn!“
„Da, keine Gegenrebe, Fürcht' Alter, meinen Zorn | An meinem Grimm geht febe Dedenflichfeit verlor'n !“ — Mit diefen Worten wieder Daponfprengt der Barbar; Der Greis ſinkt betend nieder Bor feinem Felsaltar.
2. Nah Hohinrot, dem Schluffe, Ziehn heut von Nah’ und Fern Mit fchmudem Dienertroffe Die Grafen und die Herrn. Der Zwerg ſpäht in die Runde Bom hohen Burgaltan, Und fagt.zu jeder Stande Biel neue Säfte an.
Der Mönch, der iſt verfchwiegen, Und flumm die Tobten find, Die grünen Zweige. wiegen Sich wortlos in dem Wind; Der Wald im luſt'gen Maien Spricht nichts von Mord und Tod, Drum keck die Dirne freien Darf Herr von Hohinrot.
Die Geiger auf den Brettern Die fiedeln frohe Weiß,
38
Acherthal und Seitenthäler,
Die Hörner luſtig ſchmettern,
Die Becher gehn im Kreis;
Der Saal, geſchmückt mit Kränzen, Faßt kaum die wilden Reih'n,
Und tauſend Lichter glänzen
Tief in die Nacht hinein.
Der Herr geht durch die Hallen Reulos, mit frohem Sinn, Sein Blick ruht mit Gefallen Auf ſeiner Buhlerin. Er grüßet Jung und Alte; Wo blieb des Feſtes Preis, Wo blieb der Mann vom Walde, Der fromme Siedlergreis?
Und horch! da dröhnt die Pforte In ihren Angeln jach, Ein Greis tritt ohne Worte Ins feſtliche Gemach. Er führt an feiner Rechten Ein Weib, fo finmm und bleich, In milden Sommernädhten Dem ftillen Monde gleich.
Es geht ein feltfam Grauen Dem Pilgerpaar voran, Und alle Blicke ſchauen Zum hohen Greis hinan. Doch fieh, man kennt ihn balde! Die Mähr’ fliegt durch den Kreis: „Das ift der Mann vom Walde, Der fromme Sieblergreis !“
Der redt fih hoch und höher Und droht mit finftern Brau’n, Er ſteht, als wie ein Seher Der Urmwelt anzufhau'n;
Sein Blick in tieffter Feier Durchbligt die Reihen Dicht,
Acherthal und Seitenthäler 59
Drauf lichtet er vom Schleier Der Pilgerin Geficht.
Da dröhnt aus Saales Mitte Ein Schrei, entfeglich faſt: „Brigitte! weh, Brigitte! — Wer Iud den Tod zu Gaſt?“ Des Alten Bli im Reigen Ins Herz dem Grafen bohrt, Da bricht fein Mund das Schweigen, Da fchallt fein Donnerwort:
„Heraus, du Mann von Eifen ! Dir droht ein Mönchlein nur! Nun wird fih’S keck erweifen, Wem Unrecht wiederfuhr.
Laß deine Zornglut Iodern! Die Todten kommen nicht, Die Lebenden, fie fordern
Dich, Sünder, vor Gericht.
„Die du aus deinem Haufe Berbannt, verftoßen haft, Sie fand in meiner Klaufe Im fernen Walde Raft; Der Herr, der Hort der Armen, Gab ihr ein gut ©eleit, Der Wald bielt voll Erbarmen Ihr Speif und Tranf bereit.
„Nun magft dein Schwert du züden, Wenns dich entfünd’gen kann! Es fteht vor Deinen Blicken Ein waffenlofer Mann; Reif’ ab ihm die Kapuze, Schau’ ihm ins Aug’ hinein, Sein Haupt ift, dir zum Trutze Bon Mord und Blurfhuld rein!” —
60
Acherthal und Settenthäler,
Schwer traf die Donnermahnung Des frechen Räubers Ohr, Er ſteht voll banger Ahnung Und rafft ſich jach empor; Er ſtürzet aus dem Saale, Er eilet ohne Raſt Und birgt in tiefem Thale Des Herzens Schuldenlaſt.
Er kann nicht Ruh' mehr finden, Kein Stern hellt ſeine Bahn, Es klammern alle Sünden Sich ſeinen Ferſen an. Gejagt, gepeinigt toſt er Durch Kluft und Haideland, Bis er in fernem Kloſter Ein friedlich Obdach fand.
8.
Huf Hohinrot, dem Schloffe Da ifts fo ftill umber, Da wiehern feine Roffe, Da blinft Fein Fägerfpeer. Ein Kirchlein von der Halde Begrüßt die Gau'n im Kreis, Drin dient der Mann vom Walde Der fromme Sieblergreis.
Es wehet von der Zinne Kein ftolz Panier fortan, Es ſchallt fein Lied der Minne Vom hohen Burgaltan. Ein Kreuz firahlt ob den Thoren Bergoldet in die Fern, Das Herz, das viel verloren, Sudt feinen Schöpfer gern.
In frommer Schweflern Mitte Dient Ihm, der Welt entrafft,
Acherthal und Seitentpäler. 61
Die Büßerin Brigitte
Sn tiefer Klofterhaft.
Des Gatten Schuld zu wenden Deut fie den reihen Schag, Das Gold mit vollen Händen Den Armen zum Erfag.
Den Wittwen und den Waifen, Den Kranfen in der Rund, Die fie als Mutter preifen, Thut ſich ihr Segen fund; Die Dörfer fommen alle Zu knie'n an ihrem Herd, So ward fie bald mit Schalfe Als Heilige verehrt.
Wohl ift das Schloß zerfallen, Wohl ſteht der Thurm verwaift, Doch ob den öden Hallen Schwebt noch Brigittens Geift. Wohin dein Auge ſchaue,
Ihr Segen ſchmückt pag Land, Drum wird Die Burg im Gaue
Brigittenſchloß genannt. Friedrich Otte.
Der Burggeiſt auf Nodeck.
Ohngefähr eine Stunde von der Stelle, wo ſich Türenne's Denkmal erhebt, zieht ſich das Gebirge hinauf ein wildroman⸗ tiſches, aber ſtarkbevölkertes Thal, das Kapplerthal, das von einem kraftigen, kühnbeherzten Menſchenſchlage bewohnt wird. In dieſes Thal ſchaut von einer Anhöhe das Schloß Rodeck herab, von welchem noch folgende Sage ſich erhalten hat.
Zur Zeit des Bauernkrieges hatte auch dieſes Schloß feinen eigenen Burggeift, der aber ein guimüthiger Knirps war und gar nichts übel nahm, außer wenn man über feine Geftalt ſpot⸗ tete oder irgend etwas Unrechtes verübte, An der Familie von Rode hing er mit aufrichtiger Liebe, und als ber Yurgherr
62 Aherthalund Seitenthäler.
eines Tages feinen Rath mehr wußte, fein Schloß und feine Lieben noch länger vor der Uebermacht der fchon nah heranftürs menden aufrührerifchen Bauern zu fihern, vertraute ihm ber getreue Zwerg, er habe tiefer im Gebirg eine Reihe unterirbi- fher Selfenfammern entdeckt, deren Eingang aller Welt ver- borgen läge und nur durch Zufall aufgefunden werden könne. Dahin rieth er dem Nodeder, ſich mit feiner Familie und dem Beten feiner Habe zu flüchten, dabei auch den nöthigen Vorrath von Lebensmitteln nicht zu vergeflen.
Der Borfchlag wurde mit freudigem Danf angenommen. Die meiften Knechte hatten bereits das Schloß verlaffen und waren, in der Hoffnung, ihre Habſucht zu befriedigen, den beute= machenden Bauern zugelaufen, und auf die Treue der wenigen noch Zurüdgebliebenen fonnte der Ritter feft bauen. Die Wan- berung ind, Öebirge mit Weib, Kind und Hausgefinde nach dem. bezeichneten Plage geſchah bei tiefer Nacht; nur der Zwerg weigerte fi) mit zu gehen und beſtund hartnädig darauf, man folle ihm die Hut des Schloffes anvertrauen. Der Rodeder willigte Tächelnd ein, denn es war vorauszufehen, daß feine Burg demleberfall von den Bauern doch nicht entgehen. würde,
Kaum hatten die flüdgigen Auswanderer die Mauern von Rodeck hinter ſich, als der Zwerg in aller Eile die Laufgraben mit Waſſer füllte und die Thorbrücke aufzog. Schon Tags darauf erfchien ein bewaffneter Bauernhaufe und forderte das Schloß zur Uebergabe auf; als aber nirgendsher Antwort ers folgte und fie Doch Alles im beften Bertheidigungsflande fanden, beforgten fie eine dahinter ſteckende Kriegstift, befchloffen aber nichts deſto weniger, das Wafler aus den Gräben abzuleiten und fobann Sturm zu laufen. Sogleich wurde Hand and Wert gelegt und bereits flunden die nöthigen Leitern und Geräthe zum Sturm in Bereitfhaft, als man plötzlich aus den benach⸗ barten Seitenthälern den Schall. von Trommeln und Pfeifen, immer näher und näher fommend, vernahbm. Zu gleicher Zeit erfchien der Zwerg oben auf der Thurmwarte und fchlug ein gellendes Gelächter auf. Die Bauern überfiel Todesangft; fie wähnten nicht anders als, das ganze fehwäbifche Bundesheer rüde heran, und ergriffen fo fihleunig als möglich die Flucht. Und auch als fi fpäter herausftellte, daß die ganze Gegend
Acherthal und Setitenthäler. 63
weit und breit umher leer ſey von den Truppen ſowohl der Städte, als der Fürſten, wagten ſich doch die Bauern nicht mehr in bie Nähe dieſes Schloffes, da der Glaube, daſſelbe ſey verzaubert, fefte Wurzel in ihnen gefchlagen hatte Sonach blieb die Burg, Dank ihrem guten Geifte, von allen Schredniffen des Bauernkrieges verfchont und bie Familie fand, als der Frie- den ihr die Rüdfehr nach Rodeck geftattete, Alles in der Burg
noch in derfelben Ordnung, wie fie e3 verlaffen hatte. Aloys Schreiber,
Der Retter von Nodeck.
(Metriſche Verſion der vorftehenden Sage.)
Neun foll es erklingen das luſtige Spiel Vom Zwerg in dem Schloffe zu Rodeck! Einf nahmens die Bauern im Kriege zum Ziel, Da faßte den Grafen ein Todſchreck. Die Freunde, die Beften, fie waren entflobn; Die Knechte, verfhmähn’d den verheißenen Lohn, Gehn über zum Bund der Berfchwornen. Schon zählt er fih zu den Verlornen.
Der Treufte von Allen, ein drolliger Wicht, — Kaum maß er drei Fuß bis zum Schopfe — Mit röthlichem Barte, mit Runzelgefiht,
Und mächtigem Höder und Kopfe:
Der trat nün in raffelndem Harnifh und Helm, Mit fporenumfliriten Kanonen, der Schelm, Gar fein falutirend zum Ritter:
„Bas grämt Ihr und härmt Euch fo bitter?
„Vertraut mir, Gebieter! Ich hab’ es Euch Dank, Daß einft Ihr mich wiegtet im Holzſchuh,
Wo, gütlich bewirthet mit Speife und Tranf,
Ich pflegte vergnüglich und ſtolz Ruh.
Längft bin entwachfen der Schaufel, ein Held!
Ya, glaubt nur, ich tummle mich tapfer im Feld: Ameif im Galoppe zu reiten,
Meneſtratus lehrt' michs vor Zeiten.
+‘
6A Acherthal und Seitentpäler.
„Wie Demas auf Spinnengeweben, fürwahr, So künſtlich zu tanzen auch wag' ich; Wie Marculus, traun, mit dem Kopfe ſogar Sonnſtäubchen zu ſpießen vermag ich.*) Kurz: gebt mir, ich bitte, die Burg da in Hut! Brav wird fie vertheidigt, da ſteh' ih Euch gut; O fäumt nicht, ſchon wälzt fih im Trotte Thaleinwerts die feindliche Rotte!“
„Was fabelſt du, närrifcher Enirpfiger Daus?“ Kopffhüttelt der Ritter von Rodeck. „Du wollteft beftehn mit dem Feinde den Strauß, Auffordern zur Rache den Tod keck?“ — „Das will ich, drum bin ih in Eifen und Stahl! est macht aus dem Staub Euch mit Kind’ und Gemahl! Dies Zweiglein . . . . an felfiger Stelle Erſchließt's Euch die wohnlichſte Zelle.“
Der Graf mit den Seinen ergreifet die Flucht, — Dumpf wirbein die Trommeln von ferne — Durch heimliche Gänge zur felfigen Schlucht Gelangt er im Schimmer der Sterne.
Kaum hat er berührt mit dem Zweig das Geftein, Sp Iadet ein Zaubergewölbe fie ein
Zu leder bereitetem Mahle,
Da funfelt der Wein im Pokale.
Wie ſchmauſet und zechet das Gräflein mit Luſt! Er fragt nicht, bei wen er zu Gaſte; Ihm ſchmiegt fich fein jugendlih Weib an die Bruft Im firablenden Gnomenpalafte. Die Kinder, fie jubeln, — 9 felige Nacht! Sp find fie entfihlafen, fo find fie erwacht, . Derweil vor dem flürmenden Troffe Sich rüflet der Zwerg auf dem Schloſſe.
Kings füllt er mit Waffer die Gräben fofort, Aufzieht er Die wuchtige Brüde;
*) Siehe die Anmerkung am Schluß!
’ Acherthal und Seitentpäler. | 65
Den Brefihbatterieen der Bauern zum Tort,
Hoch ypflanzt auf den Wall er die Stüde.
Der Ruf: „es ergebe die Burg fich !” ertönt.
Drauf fhallend Gelächter. — Man glaubt fi verhöhnt, Argwöhnet verberbliche Kriegsliſt
Im Trotz, der ſo ſicher des Siegs iſt.
Zur That doch befeuert der Führer die Schaar; Es ſchmettern die Hörner zum Sturme. Nun krachen die Böller, es wächſt die Gefahr — Da fieh! auf der Warte vom Thurme Stolzieret in raffeindem Harnifch und Helm Mit fporenumflirrten Kanonen der Schelm, Aufſchlagend entſetzliche Lache! Dem Feind iſt unheimlich die Sache.
Und ſchwellender gellt ſein Gelächter zu Thal, Und gellender ſchwillts in die Runde, Da hallts wie Drommeten und Trommeln zumal Als Echo vom waldigen Grunde. Wie macht ſo ein Thürmer die Bauern verdutzt! Flugs haben die Stürmer die Platte geputzt Bergunter die Kreuz und die Duere Aus Angft vor dem ſchwäbiſchen Heere. —
So biieb nun verfchont vor gefürdhtetem Troß Die Burg in dem Kriegesgemitter. Gekehrt aud dem Berge der Graf in fein Schloß, Schlug dankbar das Zwerglein zum Ritter. Das hat mit dem Rath ihn, dem Hugen, bedacht: „Zwar hab’ ich die Bauern von binnen gelacht, Run aber iſts Euere Sade, Daß dauern der Frieden Euch lache!
„Drum ftillet die Klagen der Armen im Land, Defreit fie vom Joch dem. verhaßten; Regiert nicht, wie Andre, mit eiferner Hand; Bermindert die Frohnden und Laſten!“ I. 5
—8
66 Acherthal und Seitenthäler.
So that er, und Segen erfüllte ſein Haus.
Oft kam das Gezwerge vom Berge zum Schmauß
Bei Meth und gewürzigem Brodweck. —
Hei, ging es da hoch her auf Rodeck!
Ignaz Hub. (Driginalmittheilung.) *) Hirngefpinnfte ver Dichter des Alterthums; Pygmäen der win-
zigften Elaffe, fo zu fagen: Infufionsmenfclein. Meneftratus ritt eine Ameiſe, die ihn abwarf und mit ihren Füßen zertrat; Demas war fo leicht, daß er auf einem Spinngemwebe tanzen fonnte, und Marculus hat mit feinem Kopfe ein Loch in ein Sonnenfläubrhen gebohrt. Unge— heure Riefen dagegen waren, beren Homer im vritten Gefang ver Altade erwähnt, wo er die Schlachten der Trojaner. und Griechen mit dem Streite ver Pygmäen und Kraniche vergleicht. Sie wohnten, nad Plintus, an ven äußerſten Gränzen Indiens, wo der Ganges entfpringt, hatten eine Höhe von drei Spannen, und wurden befländig von den Kra⸗ nichen befriegt. Zur Zeit des Frühlings zogen fie, auf Widdern und Ziegen reitend, mit Pfeilen bewaffnet, ſchaarenweiſe an’! Meer, um bie Eier und Jungen ihrer Feinde aufzureiden. Mit viefem Feldzuge brach⸗ ten fie gewöhnlich drei Donate zu, weil fie fonft den Heeren ver Kraniche nicht hätten Widerſtand Ieiften können. Ihre Häufer beflanden aus Lehm, Federn und Eierfchalen. Ann. des Verf,
Die Klofterruine zu Seebacdh. ”
Von des Lebens lauter Straße Lag geſchieden Hier in Frieden Eine heilige Oaſe.
Stille Wohnung frommer Nonnen Stand im Schirme Heil'ger Thürme An des Thales klarem Bronnen.
Bei des Gloͤckleins hellem Klange Sie erſchienen Gott zu dienen | Mit Gebet und mit Gefange.
=
2) Dorf und Filial von Ottenhöfen, drei Stunden öftfih von Achern.
—
Acherthal und Seitenthäler.
Einſt doch weinte eine Nonne Hier oft Thränen, Und ihr Sehnen Wußten Zelle, Mond und Sonne.
Eine Taube kam geflogen, Zeug im Munde Todeskunde Deſſen, dem ſie war gewogen:
Trennungsweh' zog hin den Lieben Zu dem Heere — Auf der Ehre Feld iſt er geblieben;
Und noch dacht' er ſterbend ihrer Bitter leidend; — Klage meidend, Beugt ſie ſich dem Weltregierer.
Und ob ihres Ordens Pflege Bald erblühte Dem Gemüthe Ruh’ im heiligen Gehege, —
Der Zerftörung längſt zum Raube Ward die Halle, Und fie Alle Sind vermählet auch dem Staube.
Und der Epich am Gemäuer Grünt noch immer, Aber nimmer Schlägt ihr Herz im Todesſchleier.
Nur in fanften Maienlüften Wehen linde Noch als Winde Seufzer aus den moos'gen Grüften. | 5*
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68 Acherthal und Seitenthäler.
Und im Gipfel alter Bäume Flüſtert leiſe Noch die Weiſe Ihres Lieds und ihrer Träume. Friedrich Ernft.
Die Helden vom Kappeler Thal.
Un herrlichen Weinbergen vorüber, durch Gärten poll üppi- ger Obftbäume und ganze Wälder von Kaftanien, auf einem Teppich frifchgrüner Wiefen zwifchen einer Menge von Bächen und Quellen dahin, welche nach und nad die oft fehr wilde Acer bilden, zieht fich der Weg durch diefes Thal, welches in einer Strede von wenigen Stunden eine Fülle der berrlichften Scenen entfaltet und an romantifcher Pracht mit manchen ber befannteften Schweizerthäler wetteifern dürfte. Kappel unter Rotteck, ein wohlhabender Fleden, Liegt Dicht am Fuße des Berges, auf welchem die Trümmer des alten Schloßes Rotteck Yiegen, son dem wir oben die Sage vom tapfern Burggeifte mittheilten. Bon bier aus z0g einft manch tapferer Ritter gegen die Wälfchen und Sarazenen, aber die Wiege der Helden ift längſt in Schutt zerfallen. Das zum Flecken gehörige Thal ift ziemlich ſchmal und in feinem oberften Theile fchon bedeutend raub, wird aber von einem fräftigen, fernteutfchen Menfchen- fihlage bewohnt. Das haben im Jahr 1796 die Franzofen derb genug empfinden müßen. Denn hier fanden fie ein Feines Tyrol. Auch bier gibt es nämlich Scharfihügen, fo gut wie dort. Meh— remale verfuchten die feindlichen Truppen bier einzubringen, wurden aber allemal, mit einem Berlufte yon Kanonen und ahnen, blutig zurüdgeworfen. Die Kappeler behaupten, eine weiße Frauengeftalt fey ihren Schaaren vorangefchmwebt und babe fie wunderbarlich gefchüst vor dem Feuer der Franzofen. Ob's ein Fräulein aus dem benachbarten Munmelfee gewefen, oder eine felige Ritteröfrau von einer der alten Burgen biefeg Thales, ober gar eine bemfelben beſonders gnädige Heilige, darüber find die Meinungen verfchieden. — Uebrigens nahmen bie Weiber dieſes Thaled, nach echt altteutſcher Weife, felbe: den thätigften Antheil an den Kämpfen und Gefahren ihrer
Acherthal und Seitenthäler. 69
Männer; eine Tapferkeit, von der ſie ſchon früher einmal wackere Proben abgelegt. Als nämlich im Jahr 1777 ein angeſehener Bauer dieſer Gegend, wegen Wilderei, ins Oberkircher Amtsge⸗ fängniß geworfen wurde, bewaffneten ſich die Weiber mit Heu⸗, Mift- und Ofengabeln, Stangen, Beſen :c. und zogen bei nädht- licher Weile nah Oberkirch, überfielen in tieffter Stille die Machen am Thor und am Thurm, nahmen fie gefangen, (bie Wächter mochten im erſten Schreden meinen, alle Deren ber Yburg fenen herabgefommen) befreiten den Wilderer aus feinem Kerfer und führten ihn im Triumphe heim in ihr Thal zurüd. D. 8.
Das Bergweiblein.
Das Sefchleht, das auf der Burg Öofenftein, deſſen Ruinen bei Dttenhöfen im Kapplerthal von einem Hügel herab- ſehen, feinen Sit hatte, ift längft erlofchen. Einer der Ritter, welche dort haußten, hatte eine einzige Tochter, Ida mit Na⸗ men, erft achtzehn Jahre alt, ausnehmend fchön aber eben fo gut und fromm. Oft erging fie fih im nahen Walde, pflüdte Blumen und Kräuter und Iaufchte dem fröhlichen Gezwiticher der Vögel. Da gefellte fih von Zeit zu Zeit ein Kleines, grau⸗ gekleidetes Weiblein zu ihr und hatte bald durch ihr freundliches Wefen und die wundervollen Gefchichten, die es ihr erzählte, Ida's volle Gunft gewonnen. Eines Tages brachte ihr das Weiblein einige Stüde gediegenen Goldes. „Da, — fagte fie — „will ih dir was fohenfen! Sol ein koſtbares Spiel- zeug hat wohl faum eine Königstochter aufzuweiſen!“ — Ida freute ſich herzlich. über diefe Kleinodien und als fie nach Haufe fam, eilte fie, diefelben ihrem Vater zu zeigen. Aber dieſer Anblid wedte im Herzen des Ritters alsbald die böfe Begierde, Der Gedanfe, das Waldweiblein müße wohl im Belige großer Vor⸗ räthe folcher Koftbarfeiten feyn, Yieß ihm feine Ruhe mehr und feine Habfucht trieb ihn zu einem unfeligen Entfchluße.
Am folgenden Tage fpielte Ida wieder, wie gewöhnlich, in ihrem lichen Walde und auch die geheimnißvolle Geſellſchafterin hatte fi) wieder eingeftellt. Da flürzten plöglich etliche Knechte des Burgheren aus dem Gebüfche hervor, wo fie gelauert hatten,
To Acherthal und Seitenthäler.
ergriffen das Weiblein, des Flehens der zum Tod erſchrockenen Ida nicht achtend, und ſchleppten es auf die Burg vor den Rit⸗ ter von Boſenſtein. Dieſer fuhr ſie mit rauhen Worten an, indem er auf das ihm von ſeiner Tochter überlaſſene Gold deutete:
„Woher haft du dieſe Stücke?“
„Aus meiner Heimath.“ — verſetzte das Bergweiblein. „Ihr müßt einen Ueberfluß von ſolchen Schätzen haben! — Ich gebiete dir, mir längſtens bis Morgen um diefe Zeit zehn
Körbe vol davon zu bringen !"'
„Ich bin nicht Eure Leibeigene!“ — gab das Weiblein mit finfterem Blide zurüd — „Glaubt ja nicht, Daß ich Euch ge- borchen werde !“
„So will ich verfuhen, ob Dich eine Nacht in meinem Burgverließe nicht anderen Sinnes werden läßt!“ — zürnte der Ritter.
„Gewiß zum Danfe, daß ich Eurem Töchterlein das Gold zum Spielzeuge gebracht habe?” — Ticherte das Weiblein höh⸗ niſch und ihre Worte Hangen fo unheimlich, daß den Burgheren ein Grauen überlief; allein der Schimmer bes Goldes übers wältigte fhnell jede, beffere Regung in ihm und er befahl, die Alte in den Kerfer zu werfen, wenn fie nicht augenblicklich ver⸗ ſpräche, feinem Gebote Folge zu leiſten.
In diefem Augenblide fam Ida faft athemlos gelaufen und befhwor ihren Vater unter Thränen, doc ja ihrer Freundin zu fihonen, die ſtets fo Tiebreich gegen fie gewejen. Aber ber babfüchtige Mann blieb ungerührt, fogar als ſich fein Kind ihm zu Füßen warf und flehend feine Kniee umſchlang. Das Weibs lein aber fagte: „Diefes Mägdlein ift Euer guter Engel, Herr Ritter! Jetzt laßt mich abführen in den Thurm !”
Ida beftand darauf, mit dem Weiblein ins Verließ gefperrt zu werden, allein der harte Vater riß fie heftig von demſelben hinweg und bie Alte ward in den Thurm geführt.
Diefem Abend folgte eine furchtbare Nacıt. Ein entjeglicher Sturm erhob fi und ſchien Die Burg in Trümmer zufammen- flürgen zu wollen. Zwifchen dem Raffeln des Donners und dem Geheule der Windshraut vernahm man allerlei: feltfame Stimmen und gellende Hammerfchläge. Als es endlih Morgen
Acherihal und Settenthäler. 71
ward, kam ein Knecht zu dem Ritter mit der Meldung herauf⸗ geeilt, die Gefangene ſey durch ein Loch, das in den Thurm gebrochen worden, entflohen.
Jetzt bemeiſterte ſich doch ein Bangen des Herzens des Burg⸗ herrn; als aber eine Magd mit der Nachricht erſchien, Ida's Bett ſey leer und keine Spur von ihr zu finden, ſchlug er ſich die Fauſt vor die Stirne und wüthete über ſich ſelbſt.
Das ganze Burggeſinde und alle Reiſigen wurden aufge⸗ boten, die Gegend ringsum zu durchſtreifen, jedoch alles For⸗ ſchen blieb vergebens und ſie kehrten niedergeſchlagenen Herzens wieder surüd. Der Ritter gerieth in Verzweiflung, raufte ſich das Haar und that Gelübde auf Gelübde, eine Kirche zu bauen, einen Tyeil feiner Güter dem Klofter zu fehenfen, ja felbft nach Einfiedeln zu wallfahrten, wenn ihm nur feine Ida, die er bei au feiner Härte doch zärtlich Liebte, wiedergegeben würde. End⸗ lich brachte ein Holzhauer die Kunde, daß er das Fräulein auf einer Felfenflippe, die noch Niemand zu erfteigen vermochte und bie eine halbe Stunde von Bofenftein im Walde lag, bei dem gefpenftigen Weiblein figen gefehen habe. Unverzüglich machte fih der Ritter mit feinen Leuten nad) dem angegebenen Orte auf, Als das Weiblein die Anfommenden erblidte, nahm fie raſch Ida bei der Hand und verſchwand mit ihr auf der Rüde feite des Felfens. Der Ritter wähnte nun Alles verloren, doch ald er mit vieler Mühe fih einen Weg durch das Geftrüppe hinter die Klippe gebahnt, fand er zu feiner freudigften Ueber- raſchung feine Tochter auf einer Moosbank am Felfen ſchlum⸗ mern und neben ihr zwei mit Laub überfireute hohe Körbe. Der Ritter dachte nicht anders als, fie feyen mit Gold ange- füllt, als er aber Die Hülle aufdeckte, glänzten ihm nichts ale Steinfohlen entgegen und dabei Tag ein Pergameniitreif mit den Worten: „Dem goldgierigen Ritter von Bofenftein
Das Weiblein aber Tieß fich von dieſem Tage an nirgends mehr blicken und die arme Ida vermißte Tange Zeit mit ſchwerem Herzen die freundfihe Gefpielin ihrer Waldeinfamfeit und konnte fich kaum über ihren Verluft mehr tröften.
- (A, Schreiber’s „Sagen aus den Rheingegenven ⁊c.“).
72 Acherthal und Seitenthäler. Die Frau von Bofenftein.”
Um ihren Herrn von Bofenftein Hat Yängft verfchmerzt den Trennungsharm, Noch in der Blüthe Rofenfchein, Die Frau in ihres Buhlen Arm. Es war zum Kreuzesfiege Gezogen fern der Ritter, Zu des Erlöfers Wiege, Ein Sarazenenfchnitter.
Sie praßt in Lüften Tag und Nacht, In fündliher Genüffe Wahl; Nie Hat fie treulih mehr gedacht Des Ehgemals beim Schwelgermaht. Dei weingefüllten Humpen Wie jubelts heut im Chore! O ſeht, da hinkt in Lumpen Ein Weib herein zum Thore!
In ihrer ſieben Kinder Kreis,
Als käm' das Unglück ſelbſt zu Gaſt, Fleht um ein Stücklein Brod ſie heiß, Gemagert zum Gerippe faſt.
Jedoch mit finſtrer Stirne
Die Herrin höhnt die Arme:
„Wie kamſt du, Bettlerdirne,
Zu ſolchem Kinderſchwarme?
„Fürwahr! das nenn’ ich Uebermuth, Hier ift für Hungrige Tein Ort! Hinaus mit euch, Zigeunerbrut ! Sonſt het’ ich euch mit‘ Hunden fort. — Die Bettlerin im Grimme Stößt aus den Fluch in Zähren: „So mögft zur Schmach du, Schlimme, Einft Sieben zumal gebären !“
Sie wanft von dannen leidesvoll, Man fpottet noch der Gramgeftalt;
Acherthal und Seitenthäler. 73
Ob auch die Tafel überquoll,
Der Kinder Jammern taub verhallt. O Felſenherz der Reichen, Tyranniſch im Genuſſe!
Habt ihr für Warnungszeichen
Kein Ohr, im Ueberfluſſe?
Die Strafe ſchlich auf leiſer Zeh’ Zur üpp'gen Frau von Boſenſtein; Nach fieben Monden brach das Weh Des Fluchs auf fie mit Macht herein. Der Jubel hat am längften Ergoffen feine Lieder ; Sie fam mit Dual und Aengften Mit fieben Knaben nieder.
Doch bald weiß ihr verflodter Sinn Für dieſe Schande Höllenrath, Beredet fchlau die Dienerin Zur unheilvollen Frevelthat:
„Auf ſtillen Pfaden fchleiche,
— Wer fieht dir's augeſchrieben? — Hinab zum Didenteide,
Erfäuf die böfen Sieben!”
Die Zofe flebt im Schilf am Teich, Im Sad die Kindlein Häglich ſchrei'n; Sie ſprach: „Ich ha euch Ruh’ ſogleich!“ Anknüpfend einen ſchweren Stein. Der See, vom Morgenrothe Umblutet, rauſcht im Becken, Als ob er zürnend droͤhte, Den Rächer ſtracks zu wecken.
„Gut Zeit!“ — Ein Mann im Pilgerkleid Ihr plötzlich an der Ferſe ſtund: „Was kreiſcht in deinem Sack ſo, Maid?“ „Ei, Herr, find neugeborne Hund!“ Sie wurde blaͤſſer, röther.
74
Acherthal und Seitentpäler.
Er heiſcht im ſtrengen Baſſe: „Zeig her die jungen Köter, Ob mir gefällt die Raſſe!“
Was muß er fehn! Er flarıt. „Gottlob!“ Sp ruft er aus, vor Zorn erblaßt, „Daß ich aus diefer Tauf euch hob, Und mir verfagt ein Stündlein Raft! Nun, Falſche, offenbare Der Rabenmutter Namen!” — Die Magd gefteht das Wahre, Ihr möcht’ die Zung’ erlahmen.
Da flräubt fich ihm das Haar empor, Sein Auge rollt in Zornesgluth: „Das ift die Treu’, die fie mir ſchwor, Sp hielt fie mir das Haus in Huth! Dir fey geichenft das Leben, Doc ihr mag Bott genaden !“ Drauf eilt in’d Schloß voll Beben Er, mit dem Sad beladen.
Er tritt hinein zum Ritterfaal, Zur Hand die Zeugen ihrer Schuld; Da buhlten bei vertrautem Mahl Die Schwelger um der Dame Huld. „Hört an, ich bring’ euch Kunde Bon gräulichem Verbrechen !”
Die Herrlein in der Runde, Sie halten inn’ im Zehen. —
„Sagt an, welch eine Strafe fol Ereilen ſolch unmenfchlid Weib, Hinmordend, graufer Tüde vol,
Die Frucht von ihrem eignen Leib 9“ Dan ftugt. — „Die,“ rief ein Spafler, „Vermauert harr' Des Todes
Dei einem Kruge Waffer
Und einem Laibe Brobes !“'
Acherthalund Setitenthäler. 75
„Sei's!“ Donnert Herr von Bofenftein Und wirft den Pilgermantel hin: „Ins Mauergrab verftoßen ſeyn Soll alfobald die Sünderin!“ Sie finft entfegt vom Stuhle, Bernichtet war ihr Hoffen. Im Blute lag ihr Buhle, Bom Racheſchwert getroffen.
es ..
Wo dort die Gottſchläg feldherab Durchs enge Thal fich bricht die Bahn, Gaͤhnt noch das Edelfrauengrab,
Das einft die Büßerin umfahn.
Noch fteht in alter Kunde
Bon ihrem Stamın gefchrieben,
Davon der Name „Hunde g Bon Bofenftein“ geblieben.
*) Alte Ruine in der Pfarrei Ottenhöfen, zwei und eine halbe Stunde öfllih von Ahern; Iiegt auf einem Auslaufer des Melferei- fopfs, ift mit tiefen zum Theil von der Ratur gebildeten Gräben umge- ben und nur noch in wenigen Ueberreſten vorhanden. Ob die Burg tömifchen Urfprungs iſt, wie Einige behaupten, mögen wir nicht entſchei⸗ den. Jedenfalls fcheint fie ein hohes Alter zu haben. Im fünften Jahr⸗ hundert baute, wie man wiffen will, ein alemannifcher Evler, Namens von Stein, in biefem wilden Thale eine Burg, die jedoch während ber Bölterwanderung wieder zerflört wurbe, während auch das alte Gefchlecht erloſch. Kaiſer Otto I. fol viefe Herrfchaft einem andern Adligen, ber im Jahr 960 das Schloß wieder aufbaute und Bof enftein nannte, gegeben haben.
Die Sage von der Frau von Bofenftein lautete im Munde des Bol- kes folgendermaßen : Zu ver ftolgen und hartherzigen Gattin deſſelben fet einft eine Betilerin mit fieben Kindern gefommen, aber von verfelben wegen folchen Leibesfegens gefcholten und höhnifh abgewiefen worden. Da babe die Bettelfrau die Verwünſchung ausgeftoßen, daß vie Edeldame mit einer gleichen Zahl von Kindern auf Einmal niederlommen möge. Dies ging in Erfüllung und die Rittersfrau wurde an Einem Tage von fieben Kindern entbunden. Um dies zu verbehlen, follte eine vertraute Magd ſechs derſelben im benachbarten Weiher ertränten. Der Ritter, von einem Zuge heimkehrend, begegnete ver Dienerin zufällig auf dem
76 Aderthalumd Seitenihäler.
Wege zum Teiche, ſah, daß fie etwas in einem Sade trug und fragte nad feinem Inhalt. „Eine Brut Hündlein, die ich ertränten ſoll!“ lau⸗ tete die Antwort. Verdacht ſchöpfend gebot er ihr, ven Sad aufzubinden, fah die neugebornen Kindlein darin und vernahm mit Entfeben das Ges ftänpniß der beabfichtigten Miſſethat. Er gab hierauf treuen Leuten vie Kinder zum Erziehen, und veranftaltete nach fieben Jahren ein Feſtmahl auf feiner Burg. Da wurde gefpielt, geſcherzt und mancherlei erzählt. Unter Anderen fragte der Ritter, welche Strafe wohl einer Frau gebühre, welche ihre Kinder aus ver Welt geſchafft habe. Raſch erwieberte die Schuldbewußte: „Eine ſolche Rabenmutter verdient bei einem Laib Brod und einem Krug Waſſer lebendig eingemauert zu werben!" Somit hatte fie fih felbft ihr Urtheil geſprochen. Die todtgeglaubten ſechs Knaben wurden herein gerufen, die Strafe gerecht befunden, und die Evelfrau lebendig eingemauert. Soweit die Sage,*) — Noch zeigt man im hinter- fin Gottſchlägthale hinter vem Wafferfalle in ver Felswand eine Nifche, welche das Bolt „Edelfrauenloch“ nennt, Auch der Diden- te ich, worin die Kinder ertränkt werden follten, wird noch gezeigt. Der Sage mag eine biftorifhe Wahrheit zu Grunde Tiegen, und noch lebt eine Familie „Hund,“ welche von jenem Gefchlechte, das von diefem Borfalle gleichen Namen führte, abflammen fol, in felbiger Gegend. (Bergt. „Univerſal⸗Lexikon von Baden.“ ©, 161.)
Krieg von Hochfelden in feiner „Geſchichte der Grafen von Eber- ftein 20.” ©. 8, erzählt eine ähnliche Sage: „Sementraut, bie Ge- mahlin Sfenbart’s, ‚Herrn zu Altvorf, eines Zeitgenoffen Karl’s des Großen, gebar, von einem armen Weibe verwünfcht, zwölf Knaben auf einmal. Den Zorn des abweſenden Gatten befürchtenn, gab fie elf derfelben einer alten Dienerin, fle zu ertränfen. Diefer begegnete Ifen- bart. Auf die Frage, was fie da trage, erwiederte fie: „Zunge Hunde (Welfen), um fie ind Wafler zu werfen.” Sfenbart deckte den Korb auf, erfuhr das beabfichtigte Verbrechen, Tieß die Kinder indgeheim erziehen, führte fie nach ſechs Jahren ihrer erichrodenen Mutter vor und verzieh ihr großmüthig. Bon den zwölf Knaben warb einer Bifchof, von den übrigen Teiten die Welfen von Altvorf, die Herzoge von Franken, bie Grafen von Hohenzollern, von Heiligenberg, jene von Todenburg, die Gebharde, Derzoge von Alemannien, die Grafen von Eber- ftein, deren erfter Eberhard geheißen habe, die Grafen von Dettingen, die Grafen zu Wölpe, fo wie jene von Calw und von Rapenellenbogen, ihren Urſprung ab.
*) Obige dichterifhe Bearbeitung weicht in einigen Nebenumftänden ab.
Acherthal und Seitenthaäaler. 77 | Die drei Jungfrauen aus dem See.
Düngefähr in der Mitte des fchönen Thales von Ober- Kappel, da, wo der Weg zum Mummelfee binaufführt, lie— gen mehrere zerfireute Wohnungen, die zufammen den Zinfen Seebad ausmachen. Wie in vielen Gegenden Deutfchlandg, fo ift es auch bier Sitte, dag an den langen Winterabenden bie jungen Mädchen mit ihren Kunkeln fi) abmwechfelnd in einer der Wohnungen verfammeln, um fih beim Epinnen die Zeit um fo angenehmer durch Singen und Plaudern zu vertreiben. „zur Spinnftube gehen”, nennt man dieſen Gebrauch. Auch die jungen ledigen Burfche aus dem Drte pflegen fi dabei einzufinden,, doch befchränfen ſich Alle auf ehrbare Kurzweil.
Bor vielen Jahren war eines Abends bie Spinnftube bei dem reichen Hofbauer Erlfried und Alles munter und guter Dinge, als die Thüre fich Leid öffnete und drei weißgefleibete Jungfrauen von ausnehmender Schönheit hereintraten,, Jede ein niedlihes Spinnräbchen von feltfamer Form in der Hand. Gittfam begrüßten fie die Gefellfhaft und die Eine von ihnen fragte mit füßer Stimme an, ob man ihnen, als friedlichen Nahbarinnen, wohl die Gunft geftatten wolle, Theil zu neh⸗ men an ber Unterhaltung in der Spinnfiube? Augenblicklich, doch nicht ohne wunderliche Gefühle, ward ed den unbekannten Nahbarinnen zugeſtanden; man feste für fie Stühle in den Kreis und bald fihnurrten ihre Rädchen mit den anderen um die Wette. Durch dieſen unerwarteten Befuch war freilich bie heitere Unbefangenheit des Ländlichen Kreiſes etwas geflört wor⸗ den und Alle fühlten eine gewifie Scheu; als aber die Jung- frauen mit ihnen fo freundlich fpradhen und mit ihren klaren blauen Augen fo traufich und offen umberblidten, da verlor fih allmälig das unheimliche Gefühl und bald war die vorige Munterfeit und der harmloſe Frohſinn der Spinnerinnen wieder hergeſtellt.
Von nun an fehlten die drei Fremden in keiner Spinnſtube mehr. Sobald der Abend dämmerie, ſtellten ſie ſich mit ihren Spinnrocken ein und plauderten geſellig mit den Andern, aber mit dem Glockenſchlag eilf nahmen fie Kunkel und Hanf zu- fammen und eilten fort; da half Fein Bitten, Fein Zureben,
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78 Ahbertbalund Seitenthäler
noch Tänger zu verweilen; nichts Fonnte fie vermögen, über bie elfte Stunde zu bleiben. Niemand wußte, woher fie famen, noch wohin fie gingen, doch rannte man fih ins Ohr, es feyen Fräulein aus dem Mummelfee und bald nannte man fie nicht anders, als das Schwefter » Kfeeblatt vom See. Seit fie aber die Spinnftuben im Thal zu befuchen pflegten, fanden ſich Mädchen und Burſchen noch einmal fo gern bei diefen Zufammenfünften ein; denn Die Seejungfern wußten ihnen gar viel anmuthige neue Lieder und hübſche Gefchichten vorzutragen und die Spinnerinnen brachten jedesmal vollere Spulen und feineren Faden von da nad Daufe, als früher, wenn gleich ihr Gefpinnft mit dem der Fremden an Zartheit und Silber⸗ glanz noch nicht zu vergleihen war. Am unerfchöpflichften aber im Lobe der veizenden drei Schweflern waren bie jungen Burſche, was mandes Schmollen und manchen kleinen eifer- füchtigen Zwift mit den Mädchen des Thals herbeiführte; Diefe grollten jedoch keineswegs mit den Seejungfrauen darob, da deren Betragen ſich flets immer in den Schranfen der Zucht und Ehrbarfeit hielt und fie den Burfchen feinerlei Aufmunte- rung gaben. Bor Allen war e8 der Sohn des reichen Eifrieb, ber an den Seejungfern großes Wohlgefollen fand, ja fogar an eine derfelben fein Herz verloren hatte. Darum war er auch am ärgerlichften darüber, daß die Drei jeglichen Abend jo früh aufbrachen und er fam auf den Gedanken, eines Abende die hölzerne Wanduhr um eine Stunde zurüdzuftellen. Ge⸗ bacht, gethan. Unter Scherz und Lachen verfloß auch dießmal bie Zeitz endlich fchlug es Elf ftatt der Mitternachtsſtunde; bie Jungfrauen nahmen ihr - Spinngeräthe und entfernten fich wie gewöhnlid.
Am Morgen darauf gingen Holzhauer am Mummelfee vor: über, da vernahmen fie aus der Tiefe ein feltfames Wimmern und Stöhnen und auf der Oberflähe ſchwammen drei große Blutflecken. Der junge Erlfried war in derfelben Nacht fchon Schwer erfranft und in drei Tagen eine Leiche. Die drei Schweftern aber wurden nie wieder im Thale gefehen.
(Siehe Al. Schreiber’s „Sagen“ ı. 1839.)
— —
Acherthal und Settenthäler. 79
Die Drei See-Schweitern. ”
(Metriſche Berfion der vorigen Sage.)
Hört ihr im Thale vom Ufer ber _ Ein Hägliches Stöhnen und Wimmern? Seht ihr im wogenden Silberfee Drei Schwäne fo biendend, fo weiß wie Schnee, Wenn am Himmel die Sternelein flimmern ?
Das find die drei Schweftern; von Allen geliebt, Sonft famen mit Roden und Rädchen Sie jeglihen Abend zum Dörfchen herein, Und mifchten ſich unter den frohen Berein Der Burfchen und fpinnenden Mädchen.
Da wurde gefcherzt und geherzt und gefoft, Da gab ed wohl viel zu beladhen. Stets brachten Die Schweftern was Neues mit, Und übten im Tanze den zierlihen Schritt Und erzählten bie lieblichſten Sachen.
Doch wann e8 EIf auf der Thurmuhr ſchlug, Dann mwichen fie eiligft von dannen; Sie famen und gingen — woher? wohinaus?
_ Das gründete Niemand von Allen aug,
Wie fehr fie auch forfchten und fannen.
Und ein junger Gefelle, vermeflen und fühn, Gelüftete nach den drei Schönen: Sie famen — es pocht ihm vor Freude das Herz; Sie gingen — in Wehmuth verfanf ed und Schmerz, Dem Gram und der Trauer zu fröhnen. -
Oft fleht' er um längres Berweilen fie an, Doc Tießen fie nimmer fich halten; Nicht achteten fie auf den bittenden Ton Und flohen wie Wind und wie Nebel davon, Wenn die graufamen Zeichen erfchallten.
Das kränkte gar tief fein verliebtes Gemüth, Es verdroß ihn das Bitten und Flehen;
80 Acherthal und Seitenthäler.
Da ſtieg er einſt heimlich mit frevelnder Tüd’ Zu der Kirchuhr und ftellte den Zeiger zurüd, Ein Stündchen fie Tänger zu fehen.
Ohm’ Argwohn erfchienen die Schweftern, die brei Am Abend, wie fonften, und fpannen, Da brummte die Glock' erft Zehne ftatt Eilf, D Himmel, erbarme dich ihrer und heif! — Sie wihen — o weh! nicht von bannen.
Deſſ freute fich weiblich der junge Geſell', Erfült war fein fträffich Begehren; Und als nun eilfmal der Hammer fchlug, Enteilten fie fröhlich , nicht ahnend den Trug, Um — nimmer zurüde zu fehren.
Da fieht er des Morgend im nahen See Drei Flecken mit Blute fich färben; Und feufzend ertönet zu feinem Ohr Der fohredlihe Ruf aus der Tiefe hervor: „Verderben dem Mörder, Berderben! "
Und Entfegen treibt ihn vom Orte hinweg ; Er ahnet das graufe Vergeben, Und weilet und harret bis dieſen Tag Der Schweftern,, Doch nimmer und nimmer vermag Die Geliebten er wiederzufehen..
Wohl aber vernimmt er vom Ufer her Ein Hägliches Stöhnen und Wimmern; Wohl aber gewahrt er im dunklen See Drei Schwäne von blendender Weiße wie Schnee,
Wenn die Sternlein am Himmel erflimmern. Marlame. Aus: „Teutſche Sagen aus dem Munde teutfher Dichter.” Gefammelt von X. Nodnagel, Zweite Ausgabe, Dresden und Leipzig.)
*) Vergl. mit diefer Sage bie verwandten, nur wenig abweichen- den : „Die Riren vom Schluchfee ,” Seite 143 des erfien Bandes, „ber Nirenquel bei Epfenbach“ und „vie Zungfrauen vom See bei Senn- feld“, in diefem Bande.
DI
Rummelfee und Nachbar-See'n.
3980
Zehn Romanzen vom Mummelſee im Schwarzwald,”
- 1 Die SKilien. Am Mummelfee, im dunflen See,
Da bfühn der Lilien viele, Sie neigen fi, fie beugen ſich, Dem Iofen Wind zum Spiele; Doch wenn die Nacht herniederfintt, Der vole Mond am Himmel blinkt, Entfteigen fie dem Babe Als Jungfern ans Geſtade.
Es braußt der Wind, es fauft das Rohr Die Melodie zum Zanze; Die Lilienmädchen fehlingen ſich As wie einem Kranze, Und ſchweben leis umher im Kreis, Gefichter weiß, Gewänber weiß, Bis ihre bleiben Wangen Mit zarter Röthe prangen.
‚ *) Die Anmerfungen zum ganzen Sagenfreife des Mummelſee's folgen am Schluffe, Seite 130, I. ' 6
82
Mummelfee.
Es braußt der Sturm, es fauft das Rohr, Es pfeift im Tannenwalde, Die Wolfen ziehn am Monde hin, Die Schatten auf der Halde; Und auf und ab, durchs naſſe Gras, Dreht fi der Reigen ohne Maaß, Und immer Yauter fchwellen Zum Ufer an die Wellen,
Da hebt ein Arm fih aus der Fluth, Die NRiefenfauft geballet. Ein triefend Haupt dann fchilfbefrängt, Bon langem Bart umwallet, Und eine Donnerftimme fchallt, Daß im Gebirg es widerhallt: „Zurück in eure Wogen, hr Lilien ungezogen !“
Da flodt der Tanz, die Mädchen ſchrei'n Und werden immer bläßer: | „„Der Vater ruftl Puh! Morgenluft! Zurüf in das Gewäffer Die Nebel fleigen aus dem Thal,
Es dämmert ſchon der Morgenftrahl, Und Lilien ſchwanken wieder Im Waſſer auf und nieder.
e
2, Der Fiſcher. Es flieht ein Fifcher an dem See: „Verſchlinge mich und all mein Weh!
„Mein Liebehen hat der Ton genommen, as fol mir noch das Leben frommen?“ —
Zum Sprung ift er bereitet ſchon, Da ruft es ihm mit Schmeichelton:
Mummeliee. 83
„Ja, fomm zu mir, in meinen Armen Sollſt du zu neuer Lieb' erwarmen !"’
Und auf dem Waffer fieht er Har Ein lichtes Mädchen, gold von Haar.
Sie winkt zu füßem Liebesglücke, Er aber fpringt entfegt zurüde:
„Rein, Dir gehört mein Herz allein, Mein liebes todtes Mägbelein !
„And lieber bleib’ ich auf der Erben, Als dir im Waffer untreu werben !”
Der Fifcher eilt nach Haufe fort; Gar fromm und ftille lebt er dort,
Und harrt geduldig, ohne Klage, Bis Gott ihn felbft zur Liebſten trage,
3. Mummelſee's Bade.
Glatt ift der See, flumm Tiegt die Fluth, Sp ftill als ob fie fchliefe, Der Abend ruht wie dunfled Blut Rings auf der finftern Tiefe; Die Binfen im Kreife nur Teife Flüftern verftohlener Weife:
„Wer fehleicht dort "aus dem Tannenwald mit fcheuem Zritte ber? Was fchleppt er in dem Sade nad) fo mühfam und fo ſchwer?“ — „„Das iſt der rothe Diether, der Wilderer benannt, Dem Förfter eine Kugel hat er ind Herz gebrannt, est kommt er, in die Tiefe den Leichnam zu verfenfen, Doch unfer alte Mummler läßt fi fo was nicht fchenten.
„„Der Alte hat gar leiſen Schlaf, ihn flört fogar ein Stein, Den man vielleicht aus Unbedacht ind Waffer wirft hinein; 6“
84 Mummelfee.
Dann focht es in der Tiefe, Gewitter fleigen auf,
Und flieht nicht gleich der Wandrer mit blisgefchwindem Lauf, Sp muß er in den Fluthen ald Opfer untergehen,
Kein Auge wird ihn jemals auf Erben wiederſehen!“
Da ſteht der Frevler an dem See, wirft feine Bürde ab Und ftößt hinab mit einem Fluch den Sad ins naffe Grab: „Da, jage du nun Fifche da drunten in dem See, est kann ich ruhig pirfchen im Walde Hirfch und Reh, Kann mich nun. ruhig wärmen an deines Holzes Gluthen, Du brauchſt ja doch Fein Feuer da dDrunten in ben Fluthen !“
Er fprihts und will zurück, doch hält ein Dorngeſtrüpp' ihn an, Und immer fefter zerrt es ihn mit taufendfachem Zahn; Da Tocht es in der Tiefe, Gewitter fleigen auf, Dumpf rollt ob dem Gebirge der Donner feinen Lauf, Der See fleigt übers Ufer, es glühn des Himmels Flammen, Und hoch ſchlägt über dem Mörder die ſchwarze Fluth zu⸗ fammen. —
— Stumm liegt. der See, als ob die Gluth Der Nahe wieder ſchliefe; Glatt ift die Fluth, im Monde ruht Die unermeßne Tiefe — — Die Binfen im Kreife nur leife Flüſtern verftohlener Weife.
A. Einkehr.
Was peitſchet und fohnaubet und billt und kracht, Und pfeifet und jauchzt durch die finftere Nacht ?
Es raffeln die wüthenden Jäger herbei Mit fchmetternden Hörnern, mit Hurragefchrei.
Und drunten am Waffer hält ſtille der Troß, Dag ſchwingt ſich ein jeglicher Reiter vom Roß;
Mummelfee. 85
Es fpringen die Hunde hinab in die Fluth Und löfchen des Durftes verzehrende Gut.
Ringe lagern die Jäger im Kreife herum, Es tönt aus der Tiefe Das dumpfe Gebrumm.
Hell firahlet der Mond aus den Tannen hervor Und theilet die Wolfen und lüftet den Flor.
Da tauchen mildlächelnde Mädchen empor, Aus plätfchernden Wellen, aus fäujelndem Rohr.
Hoch ſchwingen fie Kannen mit funfelndem Wein Und fchenfen in filberne Becher ihn ein:
„Hier, trinfet ihr Herren, wir bringend euch zu ! Süß ſchmeckt auf der Jagd fold ein Schlückchen in Ruh !“
Aus trinken die Jäger: „Wir danfen gar fhön! Nun gehts wieder frifch über Thäler und Höhn.“
Es peitfchet und gellet und billt und Fracht, Es yfeifet und jauchzet und braußt durch die Nadıt.
Da tauden die Niren zurüd in ihr Schloß, Und ferne verflinget der wüthende Troß.
3. Der Knabe vom See.
„Bas, im Echilf dort ausgeſetzt, Mag der Korb wohl hegen ? Schaut! ein Knäblein unverlegt Lacht und draus entgegen ! Schweftern, unter Mutterhut Wollen wir es legen,
Drunten in der fühlen Fluth Liebevoll fein pflegen.“
Und die Niren tragen ed Unter file Wogen,
86
Mummelfee.
In dem Schoos des Mummelfee’s Wird es auferzogen;
In der Wiege von Kriftall
Auf und ab gefchaufelt,
Unter füßem Liederſchall
In den Schlaf gegaufelt.
An der weißen Brüfte Duell Darf das Kind ſich Taben, Und fo reift der Säugling ſchnell
Zu dem fchönften Knaben;
Blondgelockt das lange Haar, Milch und Blut die Wangen, Kommt er in der Nymphen Schaar Keck einhergegangen.
Nun darf er zum erftenmal Aus den Fluthen fleigen, Läßt fi Berg und Wald und Thal Bon den Niren zeigen; Schaut entzüdt den Mondenftrahl Hinter Tannenzweigen, Mit dem Mädchen feiner Wahl Tanzet er den Reigen.
Und ein ungetrübtes Glück Wird ihm nun zum Loofe, Oft noch fehret er zurüd Aus der Wogen Schooſe; Ueber Thäler, Berg und Ried Treibt es ihn zu wallen, Selig Taufchet er dem Lied Süßer Nachtigallen.
Doch er wandelt nicht allein :
- Aus der Niren Schwarme
Hält das fhönfte Mägdelein Kofend er im Arme;
Rummelfee 87
Sa des Mondes Zauberfchein Kann man Beide fehen, Unter Minnefchmeichelei’n Aus dem Rohre gehen.
6. Die Sochzeit. Bei Nacht ift ein Klingen und Singen im See,
Es flusen im Forfte die Hirſch' und die Reh', Die Bögelein fehütteln fi) munter. Es ſchallet und hallet ein Iuftiger Lärm, Es tauchen die Mummler in buntem Gefhwärm Die Fluthen herauf und hinunter.
Heut hat ja ihr König die niedlichfte Fee, Die [höne Merlina genommen zur EP, Dies will er auf's Herrlichfte feiern;
Nun fleiget das Iuftige Völfchen ang Land, Im blauen mit Silber geftidten Gewand, Die Dämchen in filbernen Schleiern.
Der König, die Krone von Schilf auf dem Haubt, Geformt aus Beryll, mit Smaragden umlaubt, Im Mantel yon Purpur und Sammet; Die Königin, firahlend von Schönheit und Glanz, Im goldenen Haar den faphirenen Kranz, Der von Ampphitrite noch flammet.
Nun pflüden fie Blumen und grünendes Reis, Und bauen gar zierlich am Ufer im Kreis Sic) Lauben mit Tifchen und Bänken; Dann fesen ſich alle zum köſtlichen Mahl, Es geht in der Runde der Mufchelpofal, Gefüllt mit den feinften Getränfen.
Es blafen aus Flöten von Binfen und Rohr .. Biel berrlihe Stüdlein die Mufifer vor, Und laden bie Gäfte zum Tanze ;
Mummelfee.
Nun fingt e3 und fpringt ed und ſchwingt ed und fauft, Daß felber der See nun melodifch erbraußt, Zu feinem umwirbelnden Kranze.
Die Geifter der Nachbarſchaft fliegen herbei: Die wüthenden Jäger mit Hurragefchrei, Die Gnomen, Roboldchen und Zwerge,
Und mifchen fih alle im fchönften Berein Zur Yuftigen Tafel, zum tanzenden Reih’n, Es hallen im Echo die Berge.
Sp ſchallet und hallet die Hochzeit am See, — Da wird e8 dem Lieblihen Bräutchen fo weh, Sie fann nicht Die Yandluft ertragen;
„Eins“ vufet Die Glode vom Kirchlein im Thal, Und über der Geifter unendliche Zahl Die Waffer, die braußenden, fchlagen.
7. Der Hirte.
Es ſitzt ein Hirtenknab Am Ufer dort und ſingt, Daß in die Fluth hinab Die ſüße Stimme dringt.
Da ſteigt die ſchönſte Fee Im Liliengewand Wohl aus dem finſtern See Zum Hirten an das Land.
Sie hat ihn bald berauſcht Mit ſüßem Minneſpiel Und täglich ward getauſcht Der heißen Küſſe viel.
Doc pünktlich jedesmal Berfanf die holde Fee Beim legten Abendftrahl Hinunter in den See.
De gg
Mummelfee
Einit ſprach das ſchöne Weib: „Bleib' ich einmal zu Haus, O Freund, fo ruf bei Feib Nicht meinen Namen aus]
„Sonft muß ich fterben gleich, Du fiehft mich nimmermehr ; In dieſem Waſſerreich Iſt das Geſetz gar ſchwer!“ —
Schon mancher Tag verfloß Dem Hirten an dem See, Doch aus der Wellen Schoos Stieg immer keine Fee.
Einſt in dem Abendglanz Der arme Knabe ſaß, Und des Verbotes ganz In ſeinem Schmerz vergaß.
Er ruft voll Liebesgluth Den theuern Namen aus — Da reget ſich die Fluth Mit ziſchendem Gebraus,
Und aus der Tiefe gellt Ein dumpfer Schmerzensſchrei, An das Geſtade ſchwellt Ein Strom von Blut herbei.
Es ſchwimmt zum Ufer da Ein weißes Röslein her — Kein Aug' auf Erden ſah Den Hirtenknaben mehr.
—
S. Die Wollerherberge. Von Straßburg drei muntre Gefellen
Durchftreifen Gebirg und Thal; Im Schwarzwald wollen fie fehen
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Munmmelfee.
Den wunderbarften der Seeen, Den Mummelfee, doch einmal.
Doc nah’ ſchon den Hornisgrinden Berlieren fie fpurlos den Weg
. Die Iufligen Kamerädchen,
Da hüpften drei zierliche Mädchen Herüber vom Tannenfteg.
Sie grüßen mit fchelmifchem Kichern: „Wo wollt ihr denn hin, ihr Geſell'n?“ — „Zum Dummelfee wollen wir reifen, Könnt etwa den Weg ihr und weifen,
Ihr allerliebften Damfel’n 2”
„Ei freilich, mit vielem Vergnügen ! Da braucht ihr mit ung nur zu gehn; Es führt ja der Zufall gerade Auch ung zu des Seees Geſtade,
Wo unfere Wohnnngen ſtehn.“ —
Die Burfche, fie nehmen mit Freuden So hübfche Geleiterfchaft an; Nun geht’s unter Plaudern und Kofen Bereint mit den Mädchen, den loſen, Bon Halde zu Halde hinan,
Die Jüngferchen ſcheinen nicht ſpröde; Berlodet von ihrem Geneck, Berfuchens die Wandrer ſchon lange, Zu rauben mit rafchem Umfange Ein Küßchen den Lippen fo Ted.
Doch entfchlüpft den umfchlingenden Armen Sind die Dirnchen, behend wie der Aal: „Wartet nur, das follt ihr ung büßen ! Meint ihr denn, wir laffen ung füffen Sp Teicht wie die Mädchen im Thal?” —
Mummelfee
So nedend und fhädernd gelangen Sie bald an des Mummelfees Strand. Wie fill im Schlummer ruhten Die Schwarzen Warferfluthen Im Mittagsfonnenbrand !
„Ihr Herren, wir find am Ziele, Dies ift der Mummelfee! Hier könnt ihr euch baß erfrifchen Mit Seewein und mit Fifchen ; Ade, ihr Herren, Adel” —
„So fagt und doch, eh’ wir feheiden, Allerliebfte Fräulein ihr: Wie fönnen wir euch denn Tohnen ? Wo hauft ihr denn?” — „Wir wohnen Ganz in der Nähe bier.
„Ihr ſeyd wohl matt und mübe Und durftig obendrein ? Wißt ihr was: kommt mit nad) Haufe, Da follt ihr mit Trank und Schmaufe Bollauf bewirthet feyn.”
Wie nehmen die Burfche mit Freuden Die freundliche Ladung an! Und fieh nur, flatt feuchten Sandes, Aus dehnt fih Länge des Strandes Ein grüner Wiefenplan.
Voran die Jüngferchen- tanzen, Die Bürfchlein folgen nad; Doc find fie faum bis zur Mitten, Da bricht unter ihren Schritten Der Boden mit dumpfem Krad.
Plumps! Liegt die ganze Gefellichaft Im fühlen Wogenbett ; Die Bürfchlein zappeln im Scilfe
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Mummelfee
Und fohreien erbärmlich um Hilfe; Ah, nirgends ein Rettungsbrett !
Hell auf aber lachend ſchwimmen Die Jungfern wie Enten im See; Die Bürfchlein finfen und finfen, Schon find fie nah dem Ertrinfen, Da dauert die Mädchen ihr Weh.
Ein Winf, und ein mächtiger Fluthſchwall
Wälzt fachte Die Drei aufs Geſtad'; Die Jüngferlein aber riefen
Sich tauchend in die Tiefen: „Geſegn' euch Gott das Bad!
„Wohl bekomm’ euch die Erfriſchung In unferm Mummelpalaft ! Und hat e8 euch drinn gefallen, So feyd ihr in feinen Hallen Für immer willfommen zu Gaſt!“
Da fihließen fih murmelnd die Wogen Dicht über den Süngferchen zu; Ein Kichern nur tönt noch leiſe In Buſch und Geröhricht im Kreife, Dann liegt Alles in tiefer Ruh.
Die naffen Gefellen, fte ſchleichen Befrhämt von dem Mummelfee, Sich zu trodnen auf fonnigem Pläschen, Und fagen auf immer den Schäschen In der wäßrigen Herberg Abe!
9 Die SMummelzwerge. „Mann, du mußt den Pfaffen holen, Daß den Spud er banne! Alles wird ung foı ft geftohlen Noch aus Topf und Kanne!
Mummeliee.
Mag ih Alles auch verfchließen, Speif’ und Trank verbergen, Nichts ift fiher mehr vor dieſen Unverfhämten Zwergen!
„Speck und Eier, Rahm und Butter Aus der Speifefammer, Aus dem Stall fogar das Futter, — ft das nicht ein Sammer? — Alles und hinwegftipigen Thun fie Nachts im Stillen, Und durch Schlüſſelloch und Riten Schlüpfen fie wie Grillen.”
„Stau, ach Frau! das find die Zwerge Aus des Seees Grunde, Wo fie wohnen hinterm Berge Mit der Höll' im Bunde; Alle Nacht zur Geiſterſtunde Schleicht ein Trupp ind Thal fi, Bei den Wirthen in der Runde Holen fie dad Mahl fi.
„Dieſe Woche ift die Reih' bier Nun an ung gefommen, Und der Pfaffe, Gott verzeih’ mir! Mird da wenig frommen. Doch will ih, 's kann ja nicht fchaden, Zu dem heil’gen Manne, Auf Heut Nacht ihn einzuladen, Daß den Spud er banne.“ —
Pünktlich ftellt bei unferm Paare Nachts der Pfarrer ein ſich; Daß er fühnen Muth bewahre, Stärft er erft mit Wein fich, Zündet an hierauf im SKreife Die geweihten Kerzen, Denn mit Geiftern folcher Weife, Läßt fich ja nicht ſcherzen.
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Mummelfee.
Dann befprengt er Tiſch' und Bänfe Ringe mit Weihewafler; Tiſch' und Bänke, Heerd’ und Schränfe Werden immer naffer, Immer naffer Flur und Wände Big in alle Riten, Tauſend unfichtbare Hände Aus dem Keffel ſpritzen.
Aus den Deren, aus den Eden Waſſerſchäume wallen, Mann und Frau voll Todesfchreden Auf die Kniee fallen; Auch das Pfäfflein muß im Tormel Sich zu Boden fireden, jede Geifterbannungsformel Dieibt im Hals ihm fterfen.
Pröglih auf miit dumpfem Krachen Wird die Wand gebrochen, Daraus fommt mit hellem Lachen Zwerg auf Zwerg gekrochen; AL mit Eiern, Sper und Scinfen Bollgepfropft die Tafchen, Und dazwiſchen fieht man blinfen Weingefüllte Slajchen.
Doch der Dickſte von dem Haufen Klatſchet in Die Hände, Und die Waffer fich verlaufen Wieder Durch die Wände; Dann mit fpötticher Miene kehrt er Sich zum armen Pfaffen: „Seht, uns bangt nicht, Hochgelehrter ! Bor der Kirche Waffen !
„Mit des ganzen Banned Strahle Krümmt Ihr ung fein Härcden, Und, wo nur in diefem Thale Lebt ein geizig Pärchen,
Mummelfee. 95
Wie hier dieſe Eheleute, — Machen wir die Runde, Um zu holen unfre Beute In der Geifterfiunde.
„Was wir flehlen bei den Reichen, Bringen wir den Armen, Weil fih doch von Euresgleichen Keiner will erbarmen. Wollt Ihr frei feyn vom Verdruſſe Unfrer nächſten Einkehr, Sp vergeffet im Genuffe Nicht der Armuth Pein mehr !
„un Abe, du zitternd Kleeblatt! Wollt ihr ung verklagen, Můßt ihr fchon in unfre Seeftadt Euch hinunter wagen; Dort, vor unfres Königs Throne Mögt ihr proceffiren; Aber glaubt mir, zweifelsohne Werbet ihr verlieren !”
Und der Mummelzwerglein Truppe Lachend fih davon macht; Unfrer Geifterbanner Gruppe Aber liegt in Ohnmacht. Doc feit Diefer Nacht entſchwunden Iſt der Geiz vom Pärchen, Jeder Arme hats empfunden, Danf dem Mummelfchärchen.
10. Der fremde Saft.
Verglommen ift ſchon lange Der Sonne leßter Strahl, Da wanft mit müdem Gange Ein Männfein noch durchs Thal;
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Mummelfee.
Ein Wandrer grau von Bart und Tracht
Im fanften Antlitz Trauern, Mit feinem Pilgerflabe ſacht Klopft er an's Haus des Bauern.
Hang riegelt auf den Faden Und fieht den Zwerg da flehn; Solch einen Kameraden Hat er noch nie gefehn!
Ob der Figur, fo wunderlich, Möcht' er beinahe lachen, Fühlt er nicht indgeheim in ſich Des Mitleids Trieb erwachen.
„Freund, wollt mir Doch geftatten Für heut ein Nachtquartier | Raum tragen mich die matten Gebeine mehr von hier; Durchwandert hab ich ohne Frucht Biel ſchwere fohwüle Stunden, Ach! und das Ziel, das ich gefucht, Noch immer nicht gefunden.”
Hans, ohne langes Fragen, Schließt ihm die Thüre auf Und weift ihm einen Schragen: „Da, Kleiner, leg' dich drauf!“ Dann geht er felber auch zu Bett, Sein Saft macht ihm nicht Sorgen, Und beide ſchnarchen um die Wett’
Bis an den lichten Morgen.
Da rafft ſich ſchnelle fchnelle Vom Lager auf der Zwerg: „Hab Dank, hab Dank, Geſelle, Für deine Nachtherberg! Zu dieſem Liebesdienſt jedoch Erweiſ' mir einen zweiten Reich ſey dein Lohn, willſt du mich noch Zum Mummelſee geleiten.
Mummelfee 97
„Fremd bin ich bier zu Lande; Wohl ahnſt du nicht, daß hier In diefem Staubgewande Ein König fleht vor dir!
Ein Fürft von einem fohönen See, Fern diefer Berge Kreife,
‚Ein Gatie, den unfäglich Weh Trieb auf fo weite Reife.
„Zwei Monde finds gerade, Luſtwandelnd ging allein An unfrem Seegeftabe Mein Weib im Abendſchein; Da plöglich flürzt auf fie ein Hauf Bon fremdem Seegeswerge, Und fort mit ihr im Sturmeslauf Gings über Thal und Berge.
„Zu fpät erhielt ih Kunde, Wer malet meinen Graus | Nings in die weite Runde Sandt’ ih Bafallen aus; Umfonft! ich forfchte her und hin An allen Nachbarſeeen; —
Bon meiner blonden Königin War feine Spur zu fehen.
„Da bin ich ausgezogen Mit diefem Pilgerſtab; Wo nur ein See mag wogen, Bin ich getaucht hinab ! est bleibt mir nur die Mummelfluth Noch zu durchforſchen heute, Mir ahnt's, dort ruht mein höchſtes Gm Des Näuberfönigs Beute.
„Komm, führe mich gefchwinde Zu feinem Ufer bin, Und nimm als Angebinde
Dies goldne Fingerfin! I
Mummelfer
Wenn Blitz Dir ober Hagel droht, So braudft du's nur zu breben, Und Feuers⸗ oder Waſſersnoth Wird ftetd dein Haus entgehen !“
An Worten fehlt's dem Bauern Für feine Dankbarkeit, Bol Staunen und Bedauern Gibt er ihm das Geleit; Und als fie vor dem fehwarzen Kreis Des Mummlers endlich ſtehen, Da ruft der Zwerg: „Adel wer weiß, Db-wir ung wieberfehen ?
„Doch was mich auch erreichen Mag drunten für ein Loos — Mein Stab gibt dir ein Zeichen Noch aus der Wellen Schoos!“
Sp taucht er in den finftern Grund, Drin fletd nur Tücke Tauert,
Das Bäuerlein am Ufer fund,
Bon Ahnung bang durcfchauert.
Hohl kocht es in der Tiefe, Schaumblafen wirft der See,
Dem Bauer iſts, als riefe
Der Abgrund nichts ale Weh!
Ja Wehel denn empor bie Fluth Sieht er al Zeichen fommen
Sn einem Kreis von rothem Blut Des Männleins Stab geſchwommen.
„Ss hat er fie gefunden Die bionde Königin ? Doch ah! nur Todeswunden Sind feiner Treu’ Gewinn ! Fluch diefer Waſſer Mörberbrut, Daß Gott fie einft verfehütte 1“ Fort von der Fluth mit ſchwerem Muth
Wankt Hans nach feiner Hütte. | A. Schale.
Mummelſee. 99
Die Geiſter am Mummelfee.
om Berge was fommt dort um Mitternacht fpät, Mit Fackeln fo prächtig herunter ? Ob das wohl zum Tanze, zum Feſte noch geht? Mir Elingen die Lieder fo munter. O nein! SH fage, was mag es wohl feyn?
Das, was du da fieheft, iſt Tobtengelelt, Und was du da höreft, find Klagen, Dem König, dem Zauberer, gilt es zu Leid, Und Geifter nur finds, die ihn tragen. Ach wohl! Sie fingen fo traurig und hohl!
Sie fhweben hernieber ind Mummelfeethaf, Sie haben den See fchon betreten, Sie rühren und negen den Fuß nicht einmal, Sie ſchwirren in leiſen Gebeten: O ſchau, Am Sarge die glänzende Frau!
Jetzt Öffnet der See das grünſpiegelnde Thor; Gib Achtung, nun tauden fie nieder! Es fchwebt eine lebende Treppe hervor, Und — drunten ſchon fummen die Lieder. Hörft du? Sie fingen ihn brunten zur Ruh!
Die Waffer, wie Tieblich fie brennen und glühn! Ste foielen in grünlicdem Feuers Es geiften die Nebel am Ufer dahin, Zum Meere verzieht fih der Weiher. Nur ſtill! Ob dort ſich nichts rühren will?
Es zuckt in der Mitten — o Himmel! ach hilf!
Ich glaube, ſie nahen, ſie kommen! Es orgelt im Rohr und es klirret im Schilf; 7%
100
Mummelfee.
Nur hurtig die Flucht nur genommen ! Davon !
Sie wittern, fie haſchen mich fhon! . . Eduard Möride.
Der Jäger am Mummelſee.
Der Jäger trifft nicht Hirſch noch Reh, Berbrießlic geht er am Mummelſee.
Was fist am Ufer? — Ein Waldmännlein, Mit Golde fpielt es im Abendfchein. —
Der Jäger legt an: „Du Walbmännlein, Bif heute mein Hirſch, dein Gold ift mein!“ Das Männlein aber taucht unter gut, — Der Schuß geht über die Mummelfluth. „Ho bo, du toller Fägersmann! Schieß du auf — was man treffen kann! „Geſchenkt hätt’ ich dir all das Gold, Du aber haſt's mit Gewalt gewollt. „Drum troll' dich mit lediger Tafche nach Haus! Ihr Hirfchlein tanzet, fein Pulver if aus!“ Da fpringen ihm Häfelein über die Beim Und kichernd umflattern ihn Lachtäubelein. Und Eiftern flipigen ihm Brod aus dem Sad, Mit Schabernaf, huſch, und mit Gik und Gad; Und flattern zur Liebflen, und fingen um's Haus:
„Leer kommt er, leer kommt er, fein Pulver ift aus!“ Auguſt Kopifch.
Der Jägersmann.
Am Tannenwald ein Zäger wallt Bei hellem Sternenfchein; Sein Horn fo luſtig drein erſchallt Als gings zu Tanz und Wein.
Mummelfee. 101
Und wie er bläft den Wald entlang, Da tönt vom Mummelfee
Im Echoflang ein holder Sang, Wie's Lieb von einer Fee.
Es reißt ihn fort, ſchon iſt er dort In ſchnell vollbrachtem Lauf. D wel ein wundervoller Ort ! Tief aus der Fluth herauf
Da tauchen in dem Mondenfchein Der Mümmelchen gar viel,
Sie tanzen fein den Tubelreih’n
Mit Sang und Klang und Spiel.
Sie fingen: „Schmuder Jägersmann, Tritt in den Reigen ein! Reich’ ung die Hand, o fomm heran, Dei ung ift luſtig feyn ] O fomm! dir winft der Freude Kran, Das günftige Geſchick Währt, wie der Stunden Flattertanz, Nur einen Augenblid.“
Da wird dem armen Jägerdmann So wohl, fo weh vor Luft; Die Wafferweibchen fhaut er an, Bor Lieb’ ihm fchwillt die Bruft, Er taumelt bin, fte faſſen ihn, Er fann nicht widerftehn, Hinab zum See — die Melodien
Berraufcht des Sturmed Wehn. Emilie Scotzniovsky.
Mummelſee's Geſchenk.
Zu Kappel pocht's um Mitternacht Einſt an der Hebamm' Fenſter ſacht. Sie rafft ſich auf, erſchließt die Thür, Da tritt ein hoher Greis herfür;
In Silberflocken fließt ihm lang Der Bart herab von Kinn' und Wang';
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Mummelſee.
Den grünen Mantel ziert ein Saum Bon weißem Pelz wie Wellenſchaum. Der Amme vor Entfeten bleich, Gebeut er, ihm zu folgen gleich
Und feiner Hausfrau beizuftehen,
Die nieberliegt in Kindeswehen.
Die Amme nebt ſich an der Schwelle Noch mit geweihten Waffer fohnelle, Und mit geheimem Graufen dann
Folgt fie dem geiflerhaften Mann.
Tief ind Gebirge ging der Weg, Ihr war, ald ob Gebüfh und Steg Bor ihrem Blick vorüber flögen,
Als ob fie Geifterhände zögen;
Und fiehe! ſchon am dunfeln Rand Des Mummelſee's die Bange ftand. Und aufs Gewäfler ſchlug der Greis Dreimal mit einem Birfenreig, | Daß rauſchend ſich die Fluthen theilten. Auf einer Marmortrepp’ nun eilten Die Beiden in die Tiefe jach
Bis ind erhellte Schlafgemad.
Und fiehe! — durch den weiten Saal Schien eines Leuchters bunter Strahl, Geziert mit gligernden Kriftallen;
Mit reichen Perlen und Korallen,
Und von dem bunten Licht befchienen, Lag hinter feidenen Gardinen
Die blaffe Frau in ihren Wehen. Friſch eilt’ Die Amm’, ihr beizufiehen, Und bald ift aller Schmerz gehoben. Der Greis, geleitet fie nach oben,
Er dankt, des guten Dienſtes froh,
Und reicht zum Lohn — ein Bündel Stroh.
Kaum flieg der Alte langſam wieder Die blanke Wenbeltreppe nieder,
Nummelfee 103
Kaum hatten fi die dunkeln Wogen Zufanmen über ihn gezogen,
So warf die zornige Dienerin
Das Spoitgeſchenk ins Waffer hin. Doch als fie bei der Morgenhelle Nun eben trat auf ihre Schwelle, Da ſah fie hin und flaunte hoch: Es hing an ihrer Schürze noch
Ein Halm des Stroh's, der wunderbar In lauter Gold verwandelt war. Nun dacht' an ihre verfcherztes Glüͤck Die Arme jeden Tag zurüd,
Und grämte fi, bis über’d Jahr
Derfelbe Tag ihr letzter war. Aboif Stöber.
Eine Wanderung nach dem Mummelſee.
Oft und viel hatte ih während meines Aufenthalts in Bas den von bem räthfelhaften, geheimnißvollen See gehört und gelefen, der tief im unwirthlichen Gebirge Liege, und zwar meh⸗ rere taufend Fuß über ver Nheinebene. Schon ber wunderliche Name Mummelfee muß Aufmerkfamfeit erregen, und ich weiß nicht, war es Berlangen nad dem nie geſchauten Anblick eines See’3 auf der Höhe des Gebirge, oder waren es die anziehen ben, wunderfamen Sagen, die von ihm in der Gegend heimifch find, was mich immer unwiberftehlich dahin zog. Aber es fehlen, als wolle mich irgend ein nedifcher Kobold von dieſer Wande⸗ rung abhalten, denn fo oft ich einen Tag zum Ausfluge dahin feſtgeſetzt, jedesmal trat wieder ein unvorhergefehened Hinder⸗ niß dazwiſchen. Endlich, an einem heiteren Morgen des jüngft verfloffenen Jahres, trat ich Die Wanderung wirflih an. Die Sonne war in ungetrübtem Glanze aufgegangen und verſprach einen herrfihen Tags; allentbalben funfelten Gras und Raub im ſtrahlenden Juwelenſchimmer des reichlich gefallenen Nacht⸗ thaues. Rüftig und aufgeräumt wanderte ich im frifchen Mor⸗ gen dahin, durchzog die Eichenallee mit ihren Schatten, wo mir der flattliche Thurm auf dem Merkuriusberge feinen Morgen“
102 Mummelfee.
gruß zuwinkte; begrüßte das ftilfe, einfame Nonnenkloſter Lich⸗ tenthal, aus befien Hallen eben ber erſte Morgengefang der frommen Beterinnen dem jungen Tag entgegen töntez ich fehritt die Häuferreihe des Dorfes hindurch, und hielt meine Schritte nicht eher an, als bis ich Die Höhe vor dem Weiler Ger oldsau erreicht hatte, wo ſich ein rveizendes Bild vor meinen Bliden ‚entfaltete. Ein Kranz gewaltiger Berge mit angebauten Vor⸗ bügeln umzieht hier einen Lieblichen Wiefengrund, durch welchen der Waldbach bald heil und klar, bald ſchäumend und raufchend im fleinigen Bette feine Wellen dahinrollt, während an feinem Ufer die befcheivenen Wohnungen des eben genannten Weiler fih hinreihen. Wie ftil und friebfam fleht Dort die Fleine Ka⸗ pelle am Waldesfaum, von den mächtigen Schatten der bunfeln Tannen umbüftert! Einen Augenbli weidete ich mich an biefer idylliſchen Landſchaft, dann feste ich meine Wanderung fort- und hatte bald Die letzten Häufer Geroldsau's hinter mir. Jetzt nahm mich der finftere Tannenwald in feine Schatten auf. Der Weg flieg nun aufwerts, immer dem Ufer des Waldſtroms zur Seite, der in der engen Thalfchlucht zwifchen den Felfen und dem Steingerölle ſich durchdrängt. Nicht fehr Lange war ich im fühlen Waldespunfel hingewandert, ald mein Ohr ein dumpfes Raufchen vernahm, und nach wenigen Minuten war ich an die Stelle gelangt, wo fich der wilde Waldſtrom über einen Selfenabfag in ein Granitbecken herabftürzt, das er ſich im Laufe von Sahrtaufenden mühfam ausgehöhlt. Es ift dieß zwar nicht ein großartiger Catarakt, wie der Fallbach bei Tryberg, ober ber Reichenbach oder der Staubbach, aber biefer Waſ⸗ ferflurg gewährt immerhin in feiner wilden Umgebung einen anziehenden Anblid, und das gewaltige Kreuz auf der Höhe des Felsberges zur Linken ſchaut gar bedeutungsvoll in das Thal herab. Unweit des Falles erweitert fi das Thal wieder; grüne, reichbewäſſerte Wiefen mit weidenden Rindern und Zie⸗ gen breiten fi) im Grunde aus, und rechts fteht an dem Eins gang einer Thalſchlucht eine Armliche Gebirgswohnung, blos aus rohem Gebaͤlk zufammengefügt. Immer tiefer zog fich der breite, bequeme Weg ins Gebirg, immer höher auffteigend, und ‚je weiter ich eindrang in die wunberfame Bergwelt mit ihren ahnungsvollen Schauern, deſto mehr zog fie mi an und ich
Mummelfee 105
begann mich ganz heimisch zu fühlen in ihren Walbesfchaiten. Die Berghänge mit ihren Dämmrigen Hallen, geiragen non. ben fchlanfen Stämmen ber düflern Schwarztannen und überwölbt son lichtgrünen Buchenzweigen; die taufend und wieder taufen- derlei Stauden, Kräuter, Mooſe und Flechten mit ihren Blü⸗ then, Beeren, Samen und Früchten, die zwifchen und über dem Steingeröll üppig wuderten und nicht felten ein undurchdring⸗ liches Geflräpp bildeten, oder den Boden glei Dem herrlichſten Teppich überzogen; die gewaltigen Granitmaſſen und das zer Ttüftete Geftein, die an den Bergwaͤnden hervortraten; Die zer⸗ riffenen Felsſchluchten, von kriſtallkllaren Quellen durchzogen, begrüßten mich traulich, wie einen alten Belannten, und bie ganze Ratur umber fprach zu mir und erzählte von Zeiten und Ereigniffen, die weit binausreichen über alle Geſchichte. Hier erſt ward ed mir klar, wie die Sehnſucht nach der Heimath den Sohn des Gebirges im-innerften Leben erfaflen Tann, bis das ungeſtillte Web das Herz ihm bricht.
Als ich nach etwas mehr als zweiftündiger IBanderung ben Grat eines Tangen Bergrüdens erftiegen, lag vor mir auf einer abgeflachten Einfenfung ber Berge das einfame Gebirgsborf Herrenwiefe, deſſen unbedeutende Feldmark ringsum von waldumfrängten Gebirgsklöpfen umzogen wird. Das Dorf iſt arm und feine Bewohner erwerben ihren Unterhalt meift durch Holzfällen in den benachbarten Waldungen, während fie ihren Bedarf mit vieler Mühe aus weit entfernten Orten herbeiſchaf⸗ fen müſſen. In der einzigen, eben nicht fehr einlabenden Scenfe des Ortes nahm ich Fein glänzendes, aber ein nahr⸗ haftes Frühſtück zu mir, und fehritt dann rüflig weiter.
Bon bier führt der Pfad eine Zeit lang faſt eben fort, immer zwiſchen Waldungen hin, an deren Saum ber gelbe Enzian blüht und die rothe Preiffelbeere allenibalben aus ber grünen Bodendecke hervorglänzt. Bei der Hundged, einer ein- ſamen Waldwohnung, ging es wieder fteil den Berg hinan und ich erreichte nicht ohne Anftrengung die Höhe bes Hochlopfes, ber fih in einem endlos langen Bergrüden ſüdwerts zieht. Diefe Höhe iſt faft ganz von Bäumen entblößt, und nur bas Haidekraut mit feinen rothen Blüthen det in üppiger Fülle den Boden, wo allenthalben mächtige Sandfteinblöde zerfireut
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Hegen, von gewaltigen Fluthen in einer urweltlichen Erdrevo⸗ Yutton auf dieſe Höhen gewaͤlzt. Wie öde und einfam auch Alles umber ift, — eine unvergleichliche, entzückende Bernficht ent⸗ ſchäädigt reichlich dafür. Die Perle aller teutfchen Gauen, das herrliche Rheinthal, breitet fih vor den Blicken aus in all feiner Pracht und Fülle, mit feinen blühenden Feldern und duftenden Rebhügeln, mit feinen gewerbfamen Stäbten und reinlichen Dörfern, mit feinen zahlloſen Flüſſen und Bächen, bie alle rafchen Laufes dem mächtigen Rheine zuellen, der einen
"Namen trägt, vuhmeeicher wie fein anderer Steom der Erde.
Wer zählt al’ die Schlachten auf, Die an feinen Ufern gefchla- gen, wer al’ die Thaten, Die bier in Liedern befungen worben ? Drüben aber aus dem Dufte der Ferne fleigt Erwin's gewal- tiger Riefenbau zum Himmel empor und ſchaut wehmüthig
nad dem ernfien Schwarzwald herüber, ben er einft, gleich .
den Bergen des Wasgau's, feine Heimath genannt.
Endlich hatte ich Das Ende des langgedehnten Bergrüdens
erreicht, aber ich war gar nicht freudig überrafcht, als ich mich
fest plöglich. durch einen tiefen, breiten Einfchnitt des Gebirges
yon den Hornisgrindben getrennt ſah, an deren ſüdöſtlichem
Abhange das Ziel meiner Wanderung lag. Mißmuthig flieg ich
binab, um auf ber andern Seite noch höher wieder hinaufzu⸗ klimmen, doch empfand ich es nicht wenig angenehm, als ich wieder auf Waldungen traf. und fühle Schatten mich umfingen, denn die Sonne war bereits hoch geftiegen und ihre Strahlen hatten in der baumlofen Dede heiß [auf meinem Scheitel ger brannt. Meine Freude follte indeß nicht lange währen, denn die Schatten wurben bald wieder Yichter, der Wald dünner und bie Bäume gewannen immer mehr ein f&hwächlicheres, kraͤnk⸗ licheres Ausfehen, bis fie zulegt ganz verſchwanden. Endlich änderte ſich auch der ſchöͤne Teppich von Moos und Haidekraut unter meinen Füßen, und als ich die hohe Gebirgsfläche, welde ben Namen Hornisgrinde trägt, erreicht hatte, bedeckte nur erd⸗ fahles Sumpfmoos den unfruchtbaren, lockern Torfboden, ber nur bier und da einer verfrüppelten Krummholzkiefer die fpär« liche Nahrung fpendet. Oeder, trauriger läßt ſich kaum eine Gegend denken als dieſe, wo ſelbſt die grüne Farbe aus ber
Vegetation verſchwunden if. An einem gewaltigen Steinhaufen-
Mummelfce 107
fam ich vorüber, dem man bie Geflalt eines Thurmes gegeben, und ber bei der Landesvermeffung zum Signalpunft diente; wanderte nun auf eine Gruppe verfümmerter Kiefern zu und ftand ploͤtzlich — am Rand eines gewaltigen Bergkeſſels. Jah und ſteil fiel die Kluft mehrere hundert Fuß tief hinab; wild durch⸗ einander geworfene Felsblöde, zwifchen Denen mächtige Tannen zum Himmel empor ſtrebten, überbediten die abſchüſſigen Hänge, und den ganzen Grund der weiten Schlucht füllte der "M ums melfee aus. Mühfam Eletterte ich zwifchen dem Geſtein binab und erreichte bald das felfige Ufer. Still und unbeweglich wie der achernfifche See, ſchwarz und ſchauerlich wie das Asphalt gewäfler des todten Meeres, lag der Wafferfpiegel vor mir. Kein Blick vermag zu ergründen biefe fchauerliche Tiefe und die Geheimniſſe zu erfpähen, die fie birgt auf ihrem Grunde. Kein lebendes Weſen beherbergt er in feinem vüftern Schooße und fein Ton unterbricht die ewige Stille der Umgebung, als zuweilen das Gefreifc eines Raubvogels.
Der Aufenthalt in diefer öden Wildniß bat etwas ungemein Ergreifendes, und wer einmal bier geweien, wirb es leicht bes greiflich finden, dag ſich Die Sage fo viel mit dieſem See ber fchäftigt und daß ſchon die Alten ihm den Namen Wunder fee gegeben. Ich fuchte mir ein Ruheplaͤtzchen am Ufer und fand es neben einem feifchen Bergquell, der friſch und klar zwi⸗ ſchen dem Geftein herabfprubelte, wo ich mich auf bie ſchwellende Moosdecke niederließ. Gerade mir gegenüber öffnete ſich Die hohe Bergwand und in dieſer Deffnung brängt ſich durch Fel⸗ fen hindurd der Abflug des See, der Seebad, und eilt haſtig in das Thal hinab, fich mit der Ach er zu vereinigen, einem Heinen Bergwafler, das aber oft zum wilden, reißenden Strome anſchwillt und verheerend durch die Thäler braußt. Doc meine Blide hafteten nur auf dem dunkeln Gewäſſer, deſſen Spiegel ſich fegt bisweilen Teife zu Träufeln begann, und vor meiner Seele vorüber zogen all Die wunderfamen Sagen, fo ich ſchon von biefem Bergfee vernommen und wiegten mich in tiefe Träume. So Tag ich lange, lange, wie lange weiß ich nicht, aber im Weſten ſank die Sonne hinab, die Schwingen der Dämmerung flogen über die Erbe, und die Schatten der Berge legten ſich über den See; der Nachthimmel, mit den ewigen Sternen und
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dem bleichen Diondesantlig, fpiegelte fich wieder auf der dunkeln Fläche, während das Geläute der Abendgloden fanft verhallend aus den Thälern zu mir herauf Hang. Da war ed mir plög- lich, als ziehe fich eine Dede von der bisher verfchloffenen Waſ⸗ ferfchlucht, und die unermeßnen Tiefen erihlößen meinen Augen ihre Geheimniffe. Zauberifhe Hesperidengärten erblühten in frühlingsherrlicher Wunderpracht auf dem Grunde des fchla- fenden See’s, wo bie bräutlihe Myrthe und bie buftende Orangenblüthe, mit hellblinkenden Kriftallblumen und blutrothen Korallen und taufend andern Blüthen und Blumenkelchen von niegefehener Geftalt und Farbenpracht, fich zu den wunderfamften Gruppen, Lauben und Jrrgängen feltfam verwohen. Dazwifchen aber auf den gewundenen Wegen vom reinften Kriftallfand wan⸗ deiten die lieblichen Bewohnerinnen der Waflerwelt: fchlanfe, ätherifche Geftalten, fo fein und zart, fo hold und entzüdend, von ſolch überirdifcher Reizesanmuth, daß fie geſchaffen fchienen ans dem duftigſten Wellenſchaum, durchwebt mit Lilienfchnee und Roſenſchmelz. Kofend und fcherzend fchwebten fie zephyr⸗ leicht durch Die Sebüfche und warfen bisweilen Blicke zu mir empor voll brennender Sehnſucht und wonniger Liebesgluth. Wie fhauten fie verlodend aus ihren Dunklen Augen zu mir herauf! — da mit Einemmale trübte fich ber kryſtallhelle Waf- ferfpiegel; immer farblofer und verworrener wurden die zaus berifchen Bilder; wogend und wirbeind drehten fih die Waſ⸗ fer im tiefen Grunde durcheinander, und Alles verſchwamm zu einer wirren chaotifchen Maffe, aus deren dunklem Kerne jet die feltfamften Mißgeftalten fi zu entinäueln begannen. Häßlihe Molche, Seedrachen, Waſſerſchlangen, Sforpionen, Meduſen, Mollusken und allerlei eckelhaftes Gewürm kroch wimmelnd in unzähliger Menge wild durcheinander, dazwiſchen aber empor tauchten mißgeſtaltete Kobolde, grinſten aus ihren verzerrten Geſichtszügen hoͤhnend mich an, oder hoben drohend ihre zwerghaften Faͤuſte gegen mich. Dort näherte ſich mir eine rieſige Seeſpinne mit ihren ſcheußlichen Füßen, ätzendes Gift nach mir ſpeiend; da reckte ein gräßlicher Polyp ſeinen end⸗ loſen Arm nach mir aus, den er immer länger und länger behnte, bis er mich faffen konnte — ich wollte um Hülfe rufen, allein jeder Laut war mir in der Bruft feftgebannt.
— r— —
Mummelfee. 109
Der Gutenabendgruß eines Korfigefellen aus der Herren- wiefe werte mic) aus dem entfeglihen Traume. Haſtig raffte ih mich auf und fchidte mich fehweigend zum Weiterwandbern an. Es war ganz Nacht geworben und am tiefblauen Him⸗ mel flammten bie hohen Leuchten in ungetrübtem Glanze und fireuten ihr filberblühenbes Licht Durch das Dunkel. No einen Blick warf ich auf den wunderfamen See, dann folgte ich dem fih mir zum Führer anbietenden Jäger, der eben in das Didicht bes Waldes hinein fchritt, wo die Tannenzweige dem Mondes licht noch hinreichend Durchgang geflatteten, dag wir raſch und ungehindert zwifchen den ſchlanken Baumfäulen hindurchwan⸗ dern fonnten. Noch hatten wir feine weite Strecke zurüdgelegt, als wir aus dem tiefen Walbesfchatten heraus und ins Freie traten. Hier aber wartete meiner ein überrafchenber, wahrhaft zauberifcher Anblick.
Rings im Kreis umzogen die gewaltigen, finftern Berg⸗ riefen den Horizont und reiten ihre Häupter tief hinein in bes Mondes milden Schein; zwifchen den büftern Baumgruppen an den Gebirgshängen traten riefige Felsmaſſen heller hervor, ober einzelne Steingiganten vagten wie Nachtgefpenfter aus bem Boden; aus den Schluchten und Klüften aber fliegen die alten Berggeifter auf und zogen als feltfame. Nebelgeftalten über bie Wipfel der Bäume hin, während glänzende Thauperlen wie Eifen auf grünem Laub und duftenden Blumenkelchen ſchaukelnd fih wiegten. Und über die ganze Landſchaft hatte ſich ein Leiche ter, feiner Nebel gebreitet, der fih mit dem halben Mondeslichte zu einem buftig durchſichtigen Nebelfchleier verwob und bem Bilde jene feenhafte Färbung verlieh, die uns bie Bruſt mit unbegriffener Ahnung erfüllt und unausfprechlicher Sehnſucht. Nur ungern fchieb ich von dieſer Stelle und von dem zauber- haften Gemälde, das ſich hier zeigte, aber mein Führer drängte; fo gehorchte ich feiner Mahnung, und wir folgten dem Pfabe abwerts, der fich zwifchen Felsſtücken und Gefträuch hinab zieht. Endlich hatten wir den Thalgrund erreicht, wo ber Weg fortan längs ber raufihenden Acher hinführt.
„Dort liegt der Bofenftein!” — ſprach jest mein Führer, indem er nach einem dunfeln Hügel links hinzeigte, deſſen un- gewöhnliche Geflalt wohl von dem bort befindfichen Gemäuer
4110 Mummelſee.
herrühren mochte, das aber von Bäumen und Geftränd fo überwachen war, daß man es beim Mondenlicht faum zu uns terfcheiden vermochte. Das Geſchlecht der Herren von Bofen- Rein ift fehr alt und war einft reichbegütert und mächtig. Im Jahre 1773 flach der Lepte dieſes Gefchlechts mit Hinserlaffung von fieben Töchtern, nachdem er die Burg wieder an fich ge- bracht, bie faft dritthalb hundert Jahre in fremden Händen ges weſen. Mein Führer erzählte mir viel von bem großen Um- fange der Burg und den Gütern, die einft dazu gehört, und knüpfte daran die befannte Sage von der eingemauerten Burg- frau von Bofenftein im Gottfchläg.*) Der gute Mann war nun einmal im Zuge, und nun folgte eine Gefchichte der andern. Das Meiſte davon war mir ſchon bekannt; Anderes war theils neu erfunden, theils Außerft fade. Die anziehenbfle von den mir noch undefannten Sagen war folgende:
„In der Legelsau, einer reizenden Seitenwindung bes Kapplerthales, wohnte einft ein Körfter der Herren von Bo- fenftein mit feiner Hausfrau und feinem einzigen Sopne, einem flattlichen Burfchen von zwanzig Jahren. Friſch und kerngeſund an Leib und Seele und dabei blühend in Träftiger Sugenbfülle, war der junge Berwin die Freude und der Stoß feiner Eltern, und ſchon ging er dem betagten Vater in feinen beſchwerlichen Berufsgefchäften räftig an die Hand, war ein raſtloſer, unermüblicher Jäger und ein Schüge, ber feines Gleis hen fuchte von nah und fern, und Keinen fürdhteten bie Wild⸗ fügen der Umgegend mehr, als ihn. Aufgewachſen unter den Bäumen des Waldes, gab es für ihn feinen fchönern Aufentyalt, als in der lieben freien Gotteöwelt und im grünen Schatten von Berg und Thal, wo bie ſchlanken Tannen und breitäftigen "Buchen ihm lauter alte-Belannte waren. Bom frühen Mor, gen an fchweifte Berwin über Höhen und Schluchten und fehrte meift erfi am fpäten Abend zum heimathlichen Herbe zurüd, wor⸗ über ihm manch freundlichsernfte Zurechtweifung von der Mutter zu Theil warb, Doch war der funge Waidmann deßhalb nichts weniger- ald ein Menfchenfeind,, und häufig fand er fih an Sonn» und Fefttagen in der Schenke zu Seebad ein, wo er
* Siehe ©, 72 dieſes Bandes,
Mummelfee. 114
fi) mit den jungen Burfchen des Thals beluftigte, und auf der Kirchweihe oder fonft bei laͤndlichen Feſten, war er der ſchmu⸗ defte und flinkeſte Tänzer; manches Mädchenauge blidte vers ſtohlen nach dem fchönen Jügerömann und mancher Seufjer ſtahl ſich aus zarter Bruft, wenn er den Tanzplatz wieder ver⸗ ließ. Aber die fhönen Dirnen galten ihm alle glei; er ſcherzte und tanzte mit allen und feine Tonnte fich eines Borzuges in feinem Herzen rühmen.
Eines Tages kam Berwin von den Höhen der Hornis⸗ grinde herab; es war ein heißer Tag und der Durft trieb ihn zu der frifehen, Einren Bergquelle, bie unweit des Munmelſee's im Schatten grünen Gebüfches entfpringt und nach wenigen Schritten ihr Waller mit dem bes See's vermiſcht. Er Iabte fih weiblich an der heilen, ſprudelnden Duelle, und die Heime lichkeit des Orts verlodte ihn, auf dem blühenden Haidekraut fih niederzulafien, wo auch alsbald ein leiſer Schlummer feine Augen umfing. Lange dauerte biefer indeß nicht; er erwachte bald wieder und richtete fih aufs aber wer befchreibt fein Staus nen, ald er, fih gerade gegenüber, am jenfeitigen Ufer eine Maͤdchengeſtalt figen fah, von folch zuuberhafter Schönheit, wie noch in feinem Traume, gefihweige denn in der Wirklichkeit ein Frauenbild ihm erfchienen war. Das war kein irdiſches Wefen! Auf Erben reiften nicht ſolche Himmelsreize! Des blenbendften Schnee's Schimmer mußte verglimmen vor der Weiße diefes herr⸗ lich geformten Likienantliges, und die Roſen von Päftum erhlei⸗ hen vor dem zarten Hauch ihrer Wangen. In dieſem Ge- Acht voll unnennbarer Anmuth lag ein ganzer Himmel unende licher Seligfeit, und dieſe tanbenmilden, Fugen Augen drangen unmiberftehlicher als bie feurigfien Blicke in des jungen Jägers Seele, dort eine Flamme wedend, die nur mit feines Athems letztem Hauche verlöfihen ſollte. Ein füßer Schauer burchbebte ihn bis ins innerſte Mark und unwillkürliche Seufzer entfliegen feiner beflommenen Bruſt. Mi dem Binden eines Straußes von Haideblumen befchäftigt, war dies holde Frauenbild bisher in forglofer Unbefangenheit im Ufergrafe gefeffen; bei dem un- gewöhnlichen Ton aber fihaute fie auf und als fie die Geſtalt des Jaͤgers erblickte, fprang fle raſch empor und ſtürzte ſich kopf⸗ über in die Fluthen des See's, deſſen über ipe zuſammenfchla⸗
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gende Waffer fie alsbald Berwin’s Biden entzogen. — Mit fih hinab in die Tiefe nahın fie die Ruhe feines Tebens. Mit Staunen, ja mit Entfegen ftarrte fein Blick nach der Stelle hin, wo das holde Kind verſchwunden war, fehweifte von bort nach dem Plate, wo fie gefeffen, und fah etwas fihimmern im grü⸗ nen Geſtrüpp. Er eilte bin und fand bort den Schleier bes veizenden Wunderfindes, den fie vor Eile vergeffen und ber von fo feinem Gewebe war, daß er fich leicht in einer Hand verbergen ließ. Berwin drüdte den glüdtlichen Fund an fein Herz, an feine Tippen und barg ihn zulegt an feinem Bufen. Er weilte noh lang am Ufer des Sees, immer hoffend, bie Erſcheinung werde noch einmal zurüdfehren, um das Vergeffene zu Holen. Aber vergebens! Als endlich die Sonne hinabge- funfen und Mond und Sterne am bunfelnden Himmel herauf⸗ zogen, trat er ben Nüdweg an und erreichte halb träumend das Forſthaus, wo er ſich alsbald unter dem Vorwand yon Ermü- bung auf feine Kammer begab.
Am andern Morgen frifch geſtärkt erwacht, bäuchte ihm bie ganze Degebenheit nur ein fchöner Frühlingstraum. Als er aber auf dem Sige neben feinem Lager den Schleier der See- jungfrau erblidte, da ward wieder Alles deutlich und lebendig vor feiner Seele, und Die Sehnfucht nad) dem füßen Wunder⸗ finde lockte ihn unwiberftehlich abermals nach dem See: Und Tag für Tag trieb es ihn fortan nach dem verhängnißvollen Gewäffer, ftets in banger Hoffnung dort harrend, ob die holde Jungfrau fih nicht wieder zeigen werde. Doch fie Fam nicht wieder. Aber diefe Täufchung, das ungeflillte Sehnen und ber Schmerz der Liebe zehrten an feinem Herzblut, und ber tiefe Seelengram bleichte feine Wangen.
Mit unendfihem Kummer fahen die betagten Eltern, wie der einzige geliebte Sohn in der Blüthe feiner Jahre dem Grabe zuwankte, wie er täglich bleicher und fliller warb, wie nichts mehr auf Erben ihn zu erfreuen vermochte. Wohl war die arme Mutter in ihrem Sammer oft in ihn gebrungen, ihr zu fagen, was fo fchwer ihn bebrüde, aber nur ausweichende Worte waren feine Antwort.
In dem benachbarten Dorfe Seebach wohnte damals ein bersichaftlicher BVeiförfter, ber bei Berwin's Vater einft die Jaͤ⸗
Mummelfee 113
gerei erlernt und ald Waidgefell Iang in defien Dienſt geſtanden hatte. Edhart, fo hieß er, war nicht nur im Forfihaufe, fon- bern auch in ber ganzen Umgegend, feines biedern, freundlichen Weſens wegen gern gefehen, und mit bejonderer Liebe hing von frühefter Jugend an Berwin an ihm, der ihn mit den Waffen umzugehen lehrte und ihm den erſten Unterricht in dem edlen Waidwerk ertheilte., Und auch jetzt noch, nachdem Edhart fchon Jahre lang den herrfchaftlichen Dienft angetreten, genoß er der alten Liebe und erfreute fi des unumfchränften Bertrauens der Familie des Forfthaufes in der Legeldau. An ihn wandte ſich die betrübte Mutter, und der Biedere verſprach, fein Mögs Vichfles zu thun, um dem Leid, das am Herzen des Jünglings nagte, auf die Spur zu kommen, oder ihn felbft zum Geſtändniß zu bringen.
In Kurzem gelang ed ihm auch, auszufundfchaften, daß Ber⸗ win-tagtäglih den Mummelfee befuche; er beobachtete ihn, wie er Stunden lang am Ufer in tiefen Gedanken faß, öfters aus tieffier Bruft auffeufzte und dann und wann etwas Weißes aus dem Bufen 308, das er an fein Herz drüdte und an feine tippen. Er wußte nun es einzurichten, daß er eines Tages, wie zufällig, im Gebirge mit ihm zuſammentraf. Sie begannen ein gleichgültiges Gefpräch, während deſſen fie fich im fühlen Wal⸗ desfchatten auf fehwellender Moosdecke nieberließen. Edhart rückte feinem Ziele näher, und feinem treuberzigen, eindringlichen Zureden vermochte der offene Berwin nicht lange zu wiberftes ben. Er geftand feine glühende, hoffnungsloſe Liebe zu der reizenden Wafferfungfrau und zeigte fogar den Schleier vor, den - er am Ufer gefunden.
Die Jägersleute ftehen eben nicht im Rufe befonderer Fröm⸗ migkeit; doch Eckhart befaß einen frommen Sinn und ein gläu- biges Gemüth, und in der ganzen Erzählung feines jungen Freundes fah er nur eine hölfifche Verblendung, den Süngling ins Verderben zu locken. Er fuchte ihn darum mit aller Kraft feiner einfachen, natürlichen Beredtſamkeit zu überzeugen, daß dies verführerifche Gebild aus Dem Wunberfee nichts anders fey, als ein finfterer Geift des Abgrunds, ben der Böfe heraufgefendet, feine Seele zu verderben. Sp Iang er das Lügenbild in feinem Herzen trage, babe die Hölle Theil an ihm; und dieß werde
II. 8
112 Mummelſee.
nicht aus ſeinen Gedanken ſchwinden, ſo lang er den unſeligen Schleier nicht von ſich werfe, deſſen Zauberkraft ihn zugleich un⸗ fehlbar in ſeiner Verblendung dem Grabe zuführen müſſe. Ber⸗ win wurde nachdenkend; er erinnerte ſich mancher unheimlichen Erzählung von den Bewohnern des Mummelſee's, und fein Kleinmuth erwachte, fo daß es zuletzt dem Drängen Edhart’s gelang, daß er diefem fogar den Schleier übergab, wiewohl nur mit wiberftrehendem Herzen. Bald darauf trennten fie fich, denn es war fihon fpät geworben.
Eckhart war nicht wenig erfreut über das Gelingen feines Auftrags. Aber noch war das Werk nicht ganz vollbracht; noch blieb ihm ein wichtiger Schritt übrig, um feinen jungen Freund aus den Schlingen des Böfen und feiner Diener zu befreien, wie der Glaube jener Zeit wähnte. Und kaum graute in der andern Frühe der Morgen, als er fih auf den Weg nach den Horniägrinden machte; am See angelommen, wand er- den Schleier um einen ſchweren Stein und fehleuberte ihn fo weit in das Waffer, als er vermochte, dann flieg er Die Höhe bes Derges vollends hinan, den etwaigen Erfolg dort abzuwarten.
In Berwin’s Augen fam in der Nacht, welche der Unterre⸗ dung mit Edhart folgte, fein Schlaf. Er konnte den Gebanfen nicht los werben, daß er mit dem Schleier das ganze Glück feis nes Lebens aus den Händen gegeben und Edhart ihn getäufcht babe; denn lebendiger, reizender als je, ſtand jest das Bild der Wafferjungfrau vor feiner Seele und unbezwinglich warb die Sehnfucht nach ihr. Er. wälzte ſich ruhelos auf feinem La- ger, und faum dämmerte der erfle Schein im Often, fo trat er fhon den Weg an nach dem See, wohin es ihn fo unaufhaltfam 309. Träumend fehritt er dort am Ufer hin; da fieht er Eiwas in der Mitte des Waſſers ſchwimmen; er fieht genauer bin, und, täufcht ihn nicht Alles, fo iſt es ber verhängnißvolle Schleier, den er zu feinem großen Leib aus den Händen gege- ben. Ja, fo war es; er trügte fih nicht. Ein rüfliger Schwim- mer, befinnt er fich nicht lange, und flürzt fih jählings in ben See. Sept ift er dem ſchwimmenden Gewebe nahe, ſchon ſtreckt er bie Hände darnach aus, — da beginnt er unaufhaltfam zu finfen, tiefer und immer tiefer, bis Die ſchwarzen Gewäffer über ihm zuſammen fihlagen und ihn bergen in ihrer bobenlofen
Mummelfee, 115
Tiefe. — Nie warb er wieder gefehen. Hatte ein Krampf ihn erfaßt und im tiefften Grunde des See's fein Grab finden laſſen, ober haben die Niren ihn hinabgezogen in ihr fehirmendes Reich — Niemand weiß ed zu fagen. Edhart kam zu fpät von der Höhe des Berges herab ihm nad, um ihn noch retten zu Fönnen, und ihm blieb nur die traurige Pflicht, den alten Aeltern die ſchreck⸗ liche Kunde von dem unglüdlihen Ende ihres Sohnes zu bringen.”
Mein Führer Hatte kaum dieſe Gefchichte geenbet, als wir vor der erfehnten Herberge im Stäbtchen Kappel-Rodeck an⸗ Iangten, wo mid Labe und Ruhe die Mühfeligfeiten des etwas befchwerlichen Weges bald vergeflen ließen.
Sypolit Schreiber. (Aus Lewal d's „Europa.” Mit einigen Abkürzungen.)
Die Braut vom Bergiee.
Meufit erklingt zum Hochzeitſchmauß;
Sie tanzen im erhellten Haus.
Doch draußen trüb im Sternenlicht Der junge Waldmann zu fich fpricht : „Ob Manche mir das Herz beflemmt, Sie thun mir drinnen Alle fremd,
Ob Geig' und Flöte Alle freut,
Mir hat fie den Verdruß erneut.”
Da kommt zu ihm ein Mägblein zart, Geffeidet nicht nach Landesart. Wie Silber fließet ihr Gewand, Wie Gold ihr Haupthaar ohne Band, Wie fanfte Wellen fehweht ihr Schritt: „And will du nicht zum Tanze mit?“ Sp redet fie und blidt dazu, Dem Stern gleih aus der Himmelsruh'. —
Sie ſchwelgen in des Tanzes Luſt, Sie fihmiegt fich leis an feine Bruſt,
8°
116 Mummelſee.
Wie eine Blume, kaum erwacht,
An ihres Stammes Blättermacht.
Sie ruht ihm müd' und matt im Arm, Er führt ſie weg vom Tänzerſchwarm; Er wiegt ſie ſchaukelnd auf den Knie'n, Doch ſcheu und bebend will ſie fliehn.
Sie eilt zu Wald und Fels hinauf,
Er faßt ſie ſanft in ihrem Lauf. Sie ſeufzt: „Der ſtrenge Vater droht; In ſeinem Hauſe wohnt der Tod.
O blieb' ich Bruſt an Bruſt bei dir, Und Beide liebend ſtürben wir,
Doch weh, mein Herz ſo wach und voll, Und feine Seele lieben fol!”
„Hab' ich nicht Bühl und Fänger hier? Nicht fürdten Tod und Hölle wir!” . — ‚Der Nir im See, mein Vater dort, Und Menfchenliebe, bringt mir Mord; Die Morgenröthe trinkt mein Blut, Bin ich bei ihm nicht in der Fluth. Es tagt, es tagt — ich flerben muß — — D gib mir noch den Testen Kuß!“ —
Der Droſſel frober Ton verhallt, Und zornig braußt der Tannenwald; Im Halbfreis flarrt die Felſenhöh', Sn ihrem Kefjel flürmt der See. Und aus des Jünglings Armen reißt Die bleihe Braut der greife Geiſt; Er wirft fie donnernd in die Fluth, Die blutig dann im Frühglanz ruht.
Der Jäger fist am Wogenfchein ‚Und ſchaut mit flarrem Haupt hinein; Vom Gipfel blickt der Auerhahn, Dom Schiff der Hirsch ihn fiher an.
Mummelfee. 117
Der See verfiummt, ber Wald verborrt ‚ Der Jäger figt dort immerfort ; Dort harrt fein Geift noch heut zu Tag, Ob Keiner ihn erlöfen mag. Georg Rapp.
Der Ritter und das Seefränlein.
Ein Ritter fühn im Jagen Verfolgt ein ſcheues Reh; Dom ſchnellen Roß getragen Kommt er zum tiefen See; Da fleigt er in die fühle Fluth, Ermattet von der Hige, Erfrifcht fein junges Blut.
Und wie er ſchaut hinunter Tief in den See hinein, Da ſchwebt ein feltfam Wunder Hervor im Abendſchein: Ein zartes Fräulein, klar und mild, Mit waſſerblauem Schleier; Es war ein rechtes Bild.
Sie ſchwebet immer näher, Bald fteht fie vor ihm da; Sein Herz ſchwoll Hoch und höher, Wußt' nicht, wie ihm geſchah! Sie blickt' ihn an fo liebevoll; Sie pflogen füßer Rebe, Dem Jüngling warb fo wohl.
Die hellen Sterne brennen Schon lang am Himmelszelt; Doch Lieb kann Niemand trennen, Die fih umfangen hält.
AS endlich kam die Mitternacht, Da warb dem fihönen Ritter Ein Lebewohl gebracht.
'118 Mummelfee.
Sp oft die Sonn’ jest finfet,
Sigt er an Ufers Rand:
Alsbald die Meerfrau winfet
Und fchwebt zu ihm an's Land; Sp oft jest fommt die Mitternacht, Da wird dem fihönen Ritter
Ein Lebewohl gebradit.
„Komm’ mit zum Hochzeitsmahle, Mein’ Schwefter wird getraut In meines Schloßes Saale; Komm’ mit, du füße Braut!“ Sp fprad er. einft, Täßt fie nicht los, Trotz ihrem Widerfireben, Und nimmt fie mit aufs Schloß.
Da, bei dem Klang der Saiten Und bei der Kerzen Glanz, Da ift fo wohl den Beiden, Sie fchweben hin im Tanz. Der Wächter ruft die Mitternacht, Da wird dem jungen Ritter Ein Lebewohl gebradt.
Er hält fie feſt umfangen, Er denft nicht an bie Zeit, Er fügt die zarten Wangen: Da weint die fehöne Maid. ' Borbei war lang die Mitternacht Das hat dem ſchönen Ritter Nachher groß Leid gebracht.
„Laß mich, mein traut’ Gefelle, Gib mir das letzt' Geleit’ ! Es naht der Morgen helle, Ich bin vol Luft und Leid. Borbei ift lang die Mitternacht — Ich glaub’, die große Liebe Hat mir ben Tod gebraht!
Mummelfee 419
„Kommſt morgen bu zur Stelle Dort an die dunkle Fluth, Und dringet aus ber Welle Ein rofenfarbned Blut: So den: die Weil’ nad Mitternacht, Und unfer treues Lieben, Hat mir den Tod gebracht.”
Und wie er fam zur Stelle Dort an die dunkle Fluth, Da dringet aus der Welle . Das rofenfarbne Blut. Er klaget bis zur Mitternacht; Dann nahm ihn auf die Welle —
Hat nimmer ihn gebradit. Karl Zell.
Die guten Seejungfrauen.
Um die Herrenwiefe Tiegen einige Seen auf hohen Ge- birgen, in Wald und Felfen verftedt. Nicht weit von jenem Dörflein, am Abhang des Berges Seefopf, und nicht weit som Heidenberg, liegt der Herrenwiefer See, der au Hummelfee und ber Eleine Dummelfee heißt, weil man glaubt, er habe fein Wafler aus dem großen Mum- melfee, der drei Stunden ſüdwerts liegt und woraus bie Acher fließt. Der Herrenwiefer See fol unergründlich tief fegn. Ein Jäger fchoß einmal ein Reh an feinem Ufer, das ins Waſſer fiel und am dritten Tage ganz zerquetfcht bei ber Seebahbrüde wieder ausgeflößen wurde, — In dieſem See wohnten einft wohlthätige Jungfrauen; fie kamen Nachts ind Thal herab und wuſchen frommen unb reblichen Leuten bie Wäfche aus, die fie dort in den Zubern fiehen Hatten. Wo fie den Taig in der Mulde fanden, da buden fie das Brod, ehe Die Leute wach wurben; fie fegten die Häufer, während bie Leute fchliefen; im Herbſte fehnitten fie Nachts die reifen Trauben ab und trugen fie zufammen in die Bütten; bie ſchlechten aber Tießen fie für die Vögel hängen, darum gab
120 -Mummelfee,
ed auch in alten Zeiten fo guten Wein. Damals waren die Leute treu und vedlih, deswegen haben ihnen auch die See- fräulein bei ihrer Arbeit geholfen; wenn es wieder beffere
Menſchen gibt, werben ſie's aud wieder thun. (Siehe Mone's Anzeiger 2c. v. J. 1834.)
Aus dem „Simpliciſſimus.“
Vom Mummelfee gehen noch verfchiedene Sagen. Wir theilen bier einige mit, wie fie der befannte alte Kriegsroman: „bie Abenteuer des Simpliciffimus” anführt, woraus fie auch die Brüder Grimm in ihre teutfchen Sagen aufgenom- men haben:
1) Wenn man Erbfen, Steinchen oder fonft was in ungera- der Zahl in ein Tuch bindet, in den See hinein hängt und dann wieder heraus zieht, fo findet man biefelbe in gerade Zahl verändert, und fo auch umgekehrt. So man einen oder mehrere ſchwere Steine hineinwirft, fo trübt fih der Himmel darüber, und es erhebt fich ein dumpfes Braufen in ber Luft, dem oft ein Ungemitter mit Donner und Hagel folgt.
2) Als eines Tages etliche Hirten ihr Vieh nahe beim See weibeten, fahen fie plöglich einen großen braunen Stier aus der Fluth ans Ufer fleigen und fich zu ihren Rindern gefel- len; einen Augenblid darauf aber fam ein graues Männlein eilig aus dem Waffer nach, und trieb den Stier unter greuli= den VBerwünfchungen wieder in die Tiefe zurück.
3) Ein Bauer fuhr einft mitten im Winter fammt feinen Ochſen und einigen gefällten Baumflämmen über den hartges frorenen See und kam glüdlih ans andere Ufer; fein nach⸗ laufendes Hündlein aber, das nur noch wenige Schritte Davon war, mußte jämmerlich erfaufen, bieweil die Eisbede plötzlich unter ihm auseinander borft.
Mummelfee. 121
4) Ein Fägerömann fah im Borübergehen ein Seemännlein am Ufer figen und mit Golbflüden fpielen, von denen es den ganzen Schoos voll Hatte. Als er ſchon die Büchſe anlegte um darauf zu fehießen, bufchte das Männlein blitzſchnell mit feinem Schatz in die Fluthen und eine Stimme rief daraus :
„Dätteft du mich fchön gebeten, Hätt’ ich gern Dich reich gemacht, Doch weil du mid wollteft tödten, Wirft in's Elend du gebracht.”
Bald darauf verfant auch wirklich der thoͤrichte Schüge in die bitterfte Armuth, weil feine Büchfe von dieſem Tage an fein Thierlein mehr traf, und ftarb nach kurzer Zeit ganz hülfs los und verlaffen.
(Bergl, mit E. Mörike's Didtung, S. 100 dieſes Bandes.)
5) Ein Herzog von Würtemberg ließ einft ein Floß bauen, um damit auf den See zu fahren, deffen Tiefe zu ergründen. Als aber die Meffinftrumente fchon neun Faden tief hinunter⸗ gelaffen waren und immer noch Teinen Boden gefunden hat« ten, fing das Floß auf unerflärtihe Weife an, zu finfen, und wären bie Leute darauf nicht ſchnell damit ans Ufer gefahren, fie hätten Alle ihren fichern Ilntergang gefunden.
6) Ein Markgraf von Baden, der mit Geiftlichen und Hof⸗ leuten den See in Augenfchein nahm, ſchoß geweihte Kugeln und verfenfte heilige Gegenſtaͤnde hinein. Plöglich fprang ein fürdhterliches Ungeheuer aus dem Waffer, jagte die Verwege⸗ nen in die Flucht, und fieben Tage wütheten Stürme und Uns
gewitter über der ganzen Umgegenb. (5. auch: „Sagen aus Baden und ber Umgegend.“ Karléruhe 1834.)
Das Mümmelchen.
(In Mundart diefer Gegend.)
Dbe uf de Hornesgrinde ifch e See, de mer de Mums melfee beißt, denn vor Ziten hen!) Mümmele oder Sees
4) Haben,
122 Mummelfee.
wible dein g'wunht. E junger Hirt het mengmol in ber Näh fi Küe un Schof g’hüet, un e Liedli g’funge. ’8 iſch e fufrer Bue gfi, mit gele, genfe Härle un e me G'ſichtle, wie Mitch un Bluet. Emol, gege Obed, do fummt e Jungfrau zu em, ‚ ime grüne G’wand, un über de Zöpfe het fie en Schleier trage. D'Jungfrau feet fi guem-Hirte und feit: „sifh do guet lenze !), 's Moos iſch wei, un 's weiht e küel Luüftli us de Tanne ber.”
Der Hirt het nit 's Herz, ebbes z'antworte; fo e ſchüns Frauebild het er fi lebti nit g’fehne, un 's wurd em fafcht wunderli D’Sinn. Do gudt fie en a mit ihre große, ſchwarze Aue, und mit ihrem Mündle, wie Griefe 2) fo roth, und feit: „Mögfcht mer nit e Liedle finge? do hobe hört mer nike as d’wilde Waldvögel.“
Em Hirt iſch's juſt nit fingeri gfi, aber er het do an- Hfange: |
Es ſchwimmt e Rösli, fo wiß wie Schnee, Gar luſti Dort uf em ſchwarze See, Doc güdelt numme ne Sternle runter, Sp duckt's au gli fi Köpfle unter.
Witer bet er nit finge Fünne; denn 's Mümmele het en an⸗ g'ſchaut mit eme Paar Aue, der Schnee us de Grinde wär hu?) im Merze dervun g'ſchmolze. Wenn mer aber Fir *) zuem Strau thuet, fo brennt’, un mit em Löfche iſch's fo e Sad. Kurz un guet, der Hirt verplempert 5) fi in's Seewibel, und fie ifch au nit von Stahl un Ife ?? gfi.
Aber alles in Ehre! Sie ben furzwilt un Narrethei